02/2025
»Wer baute Amerika?« – Kaum ein Land ist so durch die Geschichte seiner Einwanderer geprägt wie die USA +++
»Leonie Benesch« – Deutscher Filmpreis für »Das Lehrerzimmer«, aktuell in »September 5«, bald in »Heldin« – die Schauspielerin hat einen Lauf +++
»Neue Härte« – »Frauenfilme« gehen über Schmerzgrenzen und entdecken die Lust an schön-schrecklichen Körperbildern +++
Im Kino: Henry Fonda for President | Maria & Interview Pablo Larraín | Babygirl | Soundtrack to a Coup d'Etat | Bird +++
Streaming: Severance | Pepe | American Primeval | 100 Jahre Einsamkeit +++
In diesem Heft
Tipp
In »Paradise« muss ein Agent erleben, wie der Präsident, für dessen Sicherheit er zuständig war, umgebracht wird. Aber die Serie spielt einmal nicht da, wo man es erwartet.
In der Thrillerserie »Prime Finder« verkörpert Leo Woodall ein junges Mathematikgenie, das eine Entdeckung macht, die offenbar für gewisse sehr mächtige Menschen zur Bedrohung werden könnte.
Nach drei Jahren Pause bekommt die hochgelobte Science-Fiction-Arbeitsplatzserie »Severance« eine zweite Staffel. Werden es die »Innies« schaffen, ihre »Outies« kennenzulernen und, vor allem, herauszukriegen, an was sie eigentlich arbeiten?
Nicht nur formal besitzt »Pepe«, der Film des dominikanischen Regisseurs Nelson Carlo de Los Santos Arias, einige Ähnlichkeit mit Mati Diops Goldenen-Bären-Gewinner »Dahomey«. Auch hier geht es um die Themen Kolonialismus, Trauma und Migration.
In der zweite Staffel des Netflix-Überraschungserfolgs »Squid Game« von 2022 kehrt Spieler 456 ins gefährliche Spiel zurück – mit der Absicht, dem Ganzen ein Ende zu setzen.
Über den Westen was Neues: Der Dokumentarfilm »Black Far West – Nicht alle Cowboys waren weiß« korrigiert Hollywoods Westernmythen.
Am 25.2. spricht Aaron Arens mit Jens Balkenborg über seinen Film »Sonnenplätze«.
Thema
Die USA, das »Land der unbegrenzten Möglichkeiten«, ziehen von jeher in großer Zahl Einwanderer an – und deren Erfahrungen spiegeln sich in unzähligen Filmen wider. Weit öfter als von Tellerwäschern, die zu Millionären werden, erzählen diese Filme allerdings von Existenzkämpfen, von Ausgrenzung und Gewalt – wie aktuell »Der Brutalist«, die Geschichte eines Holocaust-Überlebenden.
Mit Filmen wie »The Substance« oder »Babygirl« etabliert sich gerade ein ungewohnt schonungsloser Female Gaze im Kino. Jenni Zylka über furchtlose Regisseurinnen, Schauspielerinnen, die an die Grenze gehen, und schön schreckliche Frauenbilder.
Meldung
Mit »Wild, schräg, blutig. Deutsche Genrefilme der 70er« wirft die Retrospektive der Berlinale einen kleinen Blick auf Vergessenes der deutschen Filmgeschichte.
Filmkritik
Wilde Dokumentation über die wilden Jahre der Poplegende Nick Cave, der mit seiner Band The Birthday Party live über Grenzen ging und sich selbst zum Bühnenkunstwerk machte.
Über 75 Jahre hinweg schlägt die spanische Regisseurin Patricia Font eine Brücke zwischen Historie und Gegenwart, von einem engagierten Lehrer in der spanischen Provinz an der Schwelle zum Bürgerkrieg im Jahr 1936 zu einer jungen Mutter, die die Ereignisse von damals 2010 detektivisch erforscht.
Der Spielfilm über ein real existierendes Theaterprojekt im Gefängnis Sing Sing bekommt durch die dokumentarisch anmutende Ästhetik und ein großartiges Ensemble aus echten Ex-Häftlingen eine seltene Authentizität und eine rohe Emotionalität. Ein »Knastfilm« der anderen Art, berührend, humorvoll, eindringlich.
Mit Laien inszeniert, überzeugt diese Heimatkomödie über einen jungen Dörfler, der mittels Käsemachens seinem Leben eine Richtung gibt, durch Authentizität und vertrackten Charme: ein hinreißendes Filmdebüt.
Nicole Kidman spielt beeindruckend uneitel eine Unternehmerin, die eine unerfüllte sexuelle Fantasie der Sparte Disziplin/Dominanz mit einem Praktikanten auszuleben sucht. Und die niederländische Regisseurin Halina Reijn montiert aus dem Werkstoff des Erotikdramas eine clevere Reflexion über weibliches Begehren in Zeiten des Postfeminismus.
Maxime Govare und Romain Choay haben eine Komödie mit Widerhaken geschaffen. Ein satter Lottogewinn verändert Menschen nicht etwa, sondern bringt an die Oberfläche, wer sie im Kern sind: oft kein schöner Anblick.
Weil ihm wegen der Biber der eigene Apfelhof um die Ohren fliegt, versucht sich Jean Kayak als Jäger. Alberne Looney-Tunes- und Videospiel-Reminiszenzen, Stummfilm-Slapstick, Menschen in Ganzkörper-Tierkostümen: Mike Chesliks Film ist wagemutig und originell, das Konzept trägt sich aber nicht über Spielfilmlaufzeit.
Ein Dokumentarfilm über vier deutsche Paare in der Familiengründungsphase, der den (erarbeiteten) Wiedergewinn von Glück auch nach Schicksalsschlägen ebenso zeigt wie lesbische Liebe nach heteronormativen Mustern.
Bernhard Wengers Debütfilm ist eine leise, mit Absurditäten spielende Satire um Identitätsverlust und Charaktermasken. Albrecht Schuch in der Rolle eines Chamäleons ist brillant.
Wenig subtil und mit einigen arg konstruierten Plot-Twists zeigt die Geschichte um zwei Jugendliche, die im Umfeld einer streng evangelikalen Freikirche aufwachsen, dank starker Darsteller*innen dennoch eindrucksvoll, welch erschütternde Konsequenzen fundamentalistische Erziehung hat.
So wie sich der titelgebende Protagonist in seinen eigenen Intrigen verheddert, gerät der Film selbst zwischen Krimi, Historiendrama, moralisierender Tragödie und schwarzer Komödie ins Straucheln. Doch das prominent besetzte Ensemble rund um den mit fieser Wonne aufspielenden Ian McKellen unterhält trotzdem recht gut.
Mit seinem kurzweiligen Porträt tanzt Arne Körner einen dokumentarischen Walzer mit Dietrich Kuhlbrodt, einem Staatsanwalt, Schauspieler und einer Kultfigur aus den Schlingensief-Filmen.
Atmosphärisch dicht, aber nicht wirklich schlüssig erzählt Gustav Möller in seinem zweiten Spielfilm ein Rachedrama, das er in einem Hochsicherheitsgefängnis ansiedelt – mit »Borgen«-Star Sidse Babett Knudsen.
Innovativer Dokumentarfilm um Kolonialismus und Antikolonialismus in Afrika, in dessen Mittelpunkt der kongolesische Politiker Patrice Lumumba steht. Eine meisterhafte assoziative Geschichtslektion und ein beeindruckendes Zeitporträt.
Nach Jackie Kennedy (»Jackie«) und Lady Diana (»Spencer«) ist Maria Callas die dritte berühmte Frau des 20. Jahrhunderts, die sich im Werk von Pablo Larraín gegen den goldenen Käfig auflehnt, den ihr die Männer gebaut haben, Angelina Jolie lässt sie vieldeutig oszillieren, als Dialog zwischen ihr und der großen Sängerin Maria Callas.
Andrea Arnolds britischer Unterschicht-Milieustudie mangelt es zwar etwas an dramaturgischer Prägnanz, dafür besticht der Film mit einer großartigen Besetzung (Nykiya Adams, Barry Keoghan, Franz Rogowski) und einem vielschichtigen Blick auf die Figuren und ihre prekären Lebensumstände.
Vom innigen, zunehmend toxischen Verhältnis zweier Teenagerschwestern erzählt die Schauspielerin Ariane Labed in ihrem Regiedebüt als Mischung aus schwarzhumoriger Charakterstudie und klaustrophobischem Schauermärchen. Nicht ganz aus einem Guss, aber ein vielversprechender erster Wurf.
Dreimal hat Cosmo zugebissen, nun soll er eingeschläfert werden. Sein Herrchen nimmt ihm einen Anwalt und sie ziehen vor Gericht. Das beginnt wie eine Komödie, wächst sich aber bald aus in Richtung Beschreibung einer von Übergriffigkeit bestimmten Gesellschaft, die gegenüber nichtmenschlichen Wesen den Respekt vermissen lässt. Rund um einen inspiriert agierenden tragischen Helden finden sich Denkansätze zuhauf.
Ein früheres Ehepaar trifft sich nach Jahren am Grab des tragisch verunglückten Sohnes wieder und entwickelt einen Diskurs über die Vergangenheit und den Umgang mit Trauer. Atmosphärisch kann die Verfilmung eines Theaterstücks punkten, Drehbuch und Darstellung aber überzeugen nicht durchweg.
Alexander Horwath unternimmt in seinem Essayfilm eine mehrfache Reise durch die USA: Er erkundet Mentalität und Geschichte der Nation im Werk des berühmten Schauspielers sowie an den Schauplätzen seines Lebens und seiner Filme. Er beschwört den Actor als Auteur: ein zweifelnder Repräsentant amerikanischen Lebens.
Alltag in Somalia: In quasidokumentarischen Bildern schildert der somalisch-österreichische Regisseur Mo Harawe, wie Menschen unter schwierigen Bedingungen ihr Leben zu meistern suchen. Der visuell eindrucksvolle Erstlingsfilm – der einige Kürzungen vertragen würde – stellt dabei einmal nicht den Bürgerkrieg im failed state Somalia in den Vordergrund, sondern lässt am Ende auch Hoffnung auf Besserung aufkommen.
Den Bären verschlägt es in seinem dritten Abenteuer mit seiner Londoner Familie in den peruanischen Regenwald: ein schön ausgestatteter und mit Stars versehener Trip, der jedoch in all seinem Pointenreichtum auch recht überfrachtet und wenig kindgerecht ausfällt.
Während der Überführung eines Kronzeugen musss die verantwortliche Polizistin (Michelle Dockery) feststellen, dass der vermeintliche Pilot (Mark Wahlberg) der kleinen Propellermaschine in Wirklichkeit ein sadistischer Auftragskiller ist. Spannendes Thrillerkammerspiel um drei Personen in luftiger Höhe.
Der einst gefeierte Architekt László Tóth (ein großartiger Adrien Brody) hat den Holocaust überlebt und will 1947 in den USA neu anfangen. Seine Hoffnung auf eine neuerliche Karriere verbindet sich schicksalhaft mit den Ambitionen eines Industriellen (ein undurchsichtiger Guy Pearce). Brady Corbet inszeniert den Konflikt zwischen Kunst und Kommerz als intimen Monumentalfilm. Großes, visionäres Kino, das mit stählernem Ehrgeiz und verblüffender Bildmacht prunkt.
Biopic meets Dokumentarfilm meets Animation. Um aus dem Leben und vor allem der Karriere von Hit-Produzent, Musiker und Sänger Pharrell Williams zu erzählen, wählt Oscar-Gewinner Morgan Neville einen interessanten Ansatz. Doch so schwungvoll und bunt er dem immergleichen Talking Heads-Einerlei entgeht und so interessant die Biografie seines Protagonisten ist, bleibt hier am Ende doch der Eindruck, dass »Piece by Piece« weder visuell noch inhaltlich alle gebotenen Möglichkeiten bis ins letzte ausreizt und gerne etwas tiefer hätte schürfen dürfen.
Kammerspiel auf offener Straße um die familiären Konsequenzen schulischen Mobbings. Als ihr Sohn zum Mobbingopfer wird, droht die ohnehin wackelige Welt von Jens und Constanze zu zerbrechen.