Apple TV+: »Severance« Staffel 2
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Die Frau erwacht, wie aus dem Nichts. Nicht auf dem OP-, sondern auf dem Konferenztisch eines gesichtslosen Besprechungsraums. Eine blecherne Lautsprecherstimme stellt Fragen. Wer und wo sie ist und wie sie heißt. Die rothaarige Helly (Britt Lower) – perfekt gestylt in blauem Kostüm – weiß es nicht. Mit dieser gespenstischen Szene beginnt die Serie »Severance«, ein aufwendiges Prestigeprojekt von Apple TV+, kreiert von Dan Erickson, produziert von Ben Stiller, der auch hier beweist, dass er Regie führen kann.
Einen hypnotischen Sog entfaltet das Szenario dank einer perfekt durchkomponierten visuellen Gestaltung. Gedreht wurde unter anderem in den berühmten Bell Laboratories, wo grundlegende Innovationen entwickelt wurden, vom Transistor bis hin zur Programmiersprache C. Die Serie spielt mit dem Gedanken, dass hier wieder etwas bahnbrechend Neues entstand. Dank einem ins Hirn implantierten Chip realisieren Angestellte bei Lumon Industries die perfekte Work-Life-Balance. Acht Stunden lang nehmen sie im wahrsten Sinn Ferien vom Ich. Von privaten Sorgen vollkommen separiert, selektieren sie an Retrobildschirmen ominöse Zahlengruppen, um sie in einen virtuellen Papierkorb zu verfrachten. Wieder zu Hause in der verschneiten Kleinstadtkulisse – wo es auch wieder Telefonzellen gibt –, wissen sie nicht, was sie im Büro taten, geschweige denn was dort produziert wird.
Mittels eines künstlich geschaffenen »Unbewussten« hat Lumon Industries seine Arbeiter zu menschlichen Robotern taylorisiert. Um diese artifiziell generierte Schizophrenie visuell plausibel zu machen, spielt die Serie in einer hermetischen Welt aus sterilen Büros, in denen Angestellte keine persönlichen Spuren hinterlassen. Keine Kalender, keine Katzenbilder, irgendwie Kafka 2.0.
Mark S. (Adam Scott) fügt sich scheinbar nahtlos in diese unterkühlte Bürowelt ein, er hat den Weg in die buchstäbliche Entfremdung gewählt, weil er so die Trauer um seine verstorbene Frau wenigstens während der Arbeit verdrängen kann. Als nach Feierabend der Frust wiederkehrt, tritt ihm ein Fremder gegenüber. Eigentlich ist er sein bester Freund. Doch Marks privates Ich kennt den Arbeitskollegen nicht. Dieser hat nämlich einen illegalen »Bypass« verwendet, um so eine wortwörtliche Wiederkehr des Verdrängten zu ermöglichen.
In der nahtlos anknüpfenden zweiten Staffel versucht Mark, den Chip im Hirn loszuwerden. Wie in einer Psychoanalyse führt die Verknüpfung seines »Innies« mit dem »Outie« zu Begegnungen der seltsamen Art. Unter der Leitung des Bürovorstehers Milchick (Tramell Tillman) unternehmen Mark und seine Kollegen zu Teambulding-Zwecken ein »outdoor retreat«. In einem Zeltlager mitten im Schnee knüpft Mark zarte Bande zu jener rothaarigen Helly, die er zu Beginn der ersten Staffel in die Arbeitswelt einführte. Ist das nun eine pure Büroaffäre – oder hat Hellys privates Ich sich heimlich in ihre Büroidentität eingehackt? Und was hat es mit jenen Ziegen auf sich, die mitten in einem der Büros friedlich auf einem künstlichen Grashügel äsen?
»Severance« erzählt eine verschlungene Parallelweltgeschichte, deren Spannung sich im »slow-burner«-Stil steigert. Das Motiv des Technischen fungiert erfreulicherweise nur als Aufhänger. Bereits die Besetzung mit markanten Darstellern wie Christopher Walken, John Turturro und Patricia Arquette verdeutlicht, dass es um die Ausleuchtung von »Innenwelten« geht – ein Begriff, der in seiner Vieldeutigkeit zu schillern beginnt. Mit beeindruckender visueller Dichte entstand ein surreales Szenario, das mehr an »Being John Malkovich« erinnert als an konventionelle Science-Fiction. Die mit Spannung erwartete zweite Staffel fühlt sich nicht mehr ganz so spektakulär an, ist aber immer noch herausragend.
OV-Trailer
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