Apple TV+: »Severance«

»Severance« (Serie, 2022). © Apple TV+

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Endlich Balance zwischen Work und Life

Es beginnt in einem hermetisch abgeschlossenen Raum, in dem eine junge Frau (Britt Lower) auf einem Konferenztisch aufwacht. »Wer sind Sie«, wird sie von einer körperlosen Verhörstimme aus dem Lautsprecher gefragt, noch schlaftrunken will sie antworten und stellt fest, das kann sie nicht. »Unbekannt« notiert der anonyme Interviewer ungerührt. Auch weitere Fragen kann sie nicht beantworten: »Was habt ihr mit mir gemacht?«, ruft sie entsetzt, zwischen wachsender Panik und aufwallender Wut, als sie zudem begreift, dass der Raum fensterlos, die Tür abgeschlossen und die Wände gepolstert sind.

Es ist ein irres Szenario, das Autor und Showrunner Dan Erickson und Ben Stiller als Produzent und Regisseur in »Severance« entwerfen. Man kennt es aus dem Kino, meist aus Horrorfilmen: Einer oder mehrere Menschen wachen in einem Raum auf, ohne zu wissen, wer sie sind oder wie sie dahin gekommen sind, um bald zu begreifen, dass sie um ihr Leben kämpfen müssen. Das Grauen, das in der Welt von »Severance« nistet, ist weniger physisch, es wird von den Räumen ausgedünstet, die so perfekt und uniform gestylt und fleckenfrei steril wirken, als wäre jegliches Leben aus ihnen getilgt. Von den Menschen, die nur Mark S. oder Helly A. heißen, sich roboterhaft bewegen und ausdruckslos freundlich sprechen. Bei Bedarf sei ein Händedruck verfügbar, lässt die Chefin (Patricia Arquette) nach der Beförderung verlauten, ohne ernsthafte Absicht, ihn zu gewähren.

Danach wird Mark (Adam Scott) auf seinen neuen Aufgabenbereich vorbereitet: Es sei wichtig, dass er freundlich schaue, wird ihm mitgeteilt, ob er das denn könne, seinen Augen einen freundlichen Ausdruck verleihen? Angesichts der gequälten Miene, die Adam Scott daraufhin mit einem Anflug von Unzulänglichkeitspanik zeigt, wird deutlich, wie berechtigt die eigentlich absurde Frage ist.

Es macht großen Spaß, dabei zuzuschauen, wie Adam Scott im Laufe der Serie langsam zum Leben erwacht, wie sich mit den wachsenden Zweifeln an seiner Wahrnehmung, seiner Existenz, seinem Beruf und seinem Arbeitgeber sein roboterhaft mechanisches Auftreten langsam verliert, so als würde eine weiße Leinwand sukzessive mit Farben gefüllt. Aber wie kam es überhaupt zu diesem merkwürdigen Betäubungszustand? Könnte es sein, dass Mark S. ein Android ist? Eine künstliche Intelligenz?

Man möchte eigentlich gar nicht viel mehr erzählen, damit jeder Zuschauer die unheimliche Atmosphäre selber ergründen, den Rätseln selber auf die Spur kommen kann. So viel sei gesagt, in der fiktiven Firma Lumon Industries haben sie eine Lösung gefunden für das wachsende Problem mit der Work-Life-Balance bei vielen Menschen, die bis weit in die Nacht E-Mails beantworten: Die Mitarbeiter können sich einem sogenannten Severance-Prozess unterziehen, der durch einen Eingriff im Gehirn die Sphären des Privat- und des Arbeitslebens strikt trennt. Damit entwirft die Serie eine kafkaeske Variation von Michel Gondrys versponnener Fantasie »Eternal Sunshine of the Spotless Mind«, in der ein junger Mann sich den Liebeskummer chirurgisch aus dem Gehirn entfernen ließ, woraufhin die verdrängten Gefühle allerdings bald zu merkwürdigen Interferenzen führten.

Ausgehend vom Konferenzraum am Anfang weitet sich der Blick langsam, über labyrinthische Gänge in weitere Räume, die allesamt fensterlos und uniform gestylt sind, ein Wabensystem, das so organisiert ist, dass keine Zusammenhänge entstehen, dass sich die Menschen darin so wenig wie möglich begegnen. Es ist die bildliche Umsetzung des compartmentalizing, der Trennung verschiedener Bereiche. Das geht so weit, dass die Angestellten keine Ahnung haben, wofür die Zahlen stehen, die sie Tag für Tag aussortieren. Im Kontrast zur Nüchternheit des Ambientes kämpfen charismatische Schauspieler wie John Turturro, Christopher Walken, Britt Lower und Adam Scott um einen Rest von Menschlichkeit.

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