Nahaufnahme von Himesh Patel
»The Assessment« (2024). © Number 9 Films Assessment Ltd., TA Co-Production GmbH, ShivHans Productions, LLC, TA2022 Investors, LLC, Tiki Tāne Pictures, LLC.
Bodenhaftung und kluger Witz zeichnen Himesh Patel aus. Als Schauspieler mit südasiatischer Herkunft hatte er es allerdings nicht immer leicht in der Filmbranche
Himesh Patel ist dieser Tage gefühlt überall. Im vergangenen Jahr war der Brite neben Joseph Gordon-Levitt und Lily James in der Krimikomödie »Greedy People« zu sehen, die in Deutschland nur auf DVD erschien, und spielte die Hauptrolle in der Serie »The Franchise«. Nun ist er im dystopischen Psychothriller »The Assessment« mit von der Partie, während in Sundance bereits sein nächster Film »Bubble & Squeak« Premiere feierte. Doch davon, dass diese Omnipräsenz unerwartet komme oder sich gar über Nacht eingestellt habe, kann wahrlich keine Rede sein.
Tatsächlich steht Patel, der 1990 als Sohn indischstämmiger Eltern in der beschaulichen Grafschaft Cambridgeshire geboren wurde, schon sein halbes Leben vor der Kamera. Bereits als Teenager, pünktlich zum Realschulabschluss, ergatterte er eine Rolle in der Seifenoper »EastEnders«. Während er morgens noch für den väterlichen Eckladen Zeitungen ausfuhr, sahen Millionen von Briten täglich seine Pubertätsakne auf dem Bildschirm, erinnert sich der Schauspieler noch heute mit einem Anflug von Peinlichkeit. Die Pickel verschwanden, die Rolle blieb: Neun Jahre lang gehörte Patel als Tamwar Masood zum Ensemble.
»EastEnders« ist gemeinhin nicht der Ort, an dem große Schauspielkarrieren beginnen. Doch Patel hatte Glück. Nicht lange nach seinem Ausstieg (sowie dem preisgekrönten Kurzfilm »Two Dosas«) suchte Danny Boyle für seine Beatles-RomCom »Yesterday« dezidiert nach einem Hauptdarsteller, der nicht nur singen konnte, sondern vor allem unverbraucht und wenig bekannt war. Der Regisseur setzte sich gegen alle Bedenken des Studios durch – und Patel durfte seinen Kino-Einstand als Protagonist eines Films geben, der am Ende weltweit mehr als 150 Millionen Dollar einspielte.
In einer gerechten Welt hätte sich der Shootingstar nach diesem Erfolg womöglich vor neuen Angeboten kaum retten können. In einer Branche, die weiterhin Schauspieler süd- und ostasiatischer Herkunft selten ins Zentrum ihrer Geschichten stellt, sah die Realität anders aus. Zwar reihte sich Job an Job, doch die Herausforderungen für Patel blieben überschaubar: Bevorzugt wurde er als Freund besetzt, sei es als bester Freund des Protagonisten, wahlweise hetero (»The Aeronauts« mit Eddie Redmayne) oder schwul (»Good Grief« von und mit Dan Levy), oder als Lebensgefährte, etwa an der Seite von Jennifer Lawrence in der Endzeitsatire »Don't Look Up«. Auch seine Szenen als Fixer in Christopher Nolans »Tenet« konnte man an einer Hand abzählen.
Größere Rollen eröffneten sich in seriellen Gefilden. Nach einer tragenden Rolle neben Eva Green und Eve Hewson in der international viel zu wenig beachteten neuseeländischen Serie »The Luminaries« ergatterte Patel die männliche Hauptrolle in der Miniserie »Station Eleven«, die gerade im Corona-Kontext als postapokalyptische, aber hoffnungsvolle Geschichte einen Nerv traf. Als einziger Schauspieler des Ensembles wurde er dafür sogar für den Emmy nominiert.
Noch größer aufspielen durfte er zuletzt in »The Franchise« (verfügbar bei Sky), einer Comedyserie unter anderem verantwortet von Jon Brown, Sam Mendes und Armando Iannucci (in dessen »Avenue 5« Patel auch schon dabei war). Neben Daniel Brühl als prätentiösem Regisseur oder Richard E. Grant als Schauspieldiva legte er als gleichermaßen überforderter wie kompetenter Regieassistent am Set eines Superhelden-Blockbusters eine komödiantische Meisterleistung am Rande des Nervenzusammenbruchs hin, die es umso bedauerlicher machte, dass die Serie mit ihrem schrägen Insiderhumor nur bedingt den Nerv des Publikums zu treffen schien.
Immer deutlicher zeigt sich in jüngster Zeit, dass Patel das Abseitige und Besondere ohnehin sehr viel mehr zu liegen scheint als der gängige Mainstream. Hollywood interessiere ihn bloß für gelegentliche Stippvisiten, »um kurz einzutauchen und zu sehen, wie sich alle abstrampeln«, sagte er im vergangenen Jahr gegenüber dem Magazin »GQ«. Und das nicht nur weil er mit seiner Frau und den zwei kleinen Töchtern ungern dauerhaft aus London wegziehen würde. Auch inhaltlich interessieren ihn eher kleine, mutige Produktionen, von Regisseur*innen mit eigenwilligen Visionen. So wie Fleur Fortuné, die mit »The Assessment« eine reizvolle Mischung aus Sci-Fi-Dystopie und Beziehungsdrama präsentiert und das Ganze mit viel schwarzem Humor unterfüttert. Oder Evan Twohys »Bubble & Squeak«, der sich in Sundance ebenfalls als absurde Paar- (und Kohl-)Geschichte entpuppte, deutlich inspiriert von Wes Anderson.
Gerade im Kontext des Absurden und Überhöhten wird eben jene Qualität Patels sichtbar, die ihn schon bei »Yesterday« zum idealen Hauptdarsteller machte. Wie wenige andere Schauspieler jenseits von Tom Hanks überzeugt er ganz besonders als Jedermann, als Normalo von nebenan, der, selbst wenn er größte Besonnenheit ausstrahlt, nie allzu weit von der nächsten Kriseneskalation entfernt zu sein scheint. Die Bodenhaftung, aber auch der Witz, die er dabei mitbringt, erden jede seiner Rollen, vom »Black Mirror«-Gastauftritt bis nun zu »The Assessment«, ganz gleich wie abgehoben oder konstruiert die Geschichte dahinter sein mag. Als darstellerisches Einhorn pries ihn vergangenes Jahr entsprechend »The Franchise«-Co-Schöpfer Brown, unglaublich witzig, aber gleichzeitig enorm subtil, mit einem Gesicht, das problemlos den Schmerz und die Traurigkeit zerstörter Träume transportieren könne.
Ähnlich wie der junge Tom Hanks würde sich der 34-Jährige gerade deswegen auch perfekt als Hauptdarsteller weiterer romantischer Komödien machen. Fürs Erste allerdings scheint das kein Weg zu sein, den er, mehr als fünf Jahre nach »Yesterday«, weiter zu verfolgen scheint. Gerade steht er erst einmal wieder für Nolan vor der Kamera, in dessen »The Odyssey« er Teil des Ensembles ist. Darüber hinaus arbeitet Patel bereits seit ein paar Jahren mit dem befreundeten Schriftsteller Nikesh Shukla an einer Adaption von dessen autobiografischem Buch »Brown Baby«.
Und wenn es doch irgendwann mal etwas für die ganz große Masse sein soll, hat er eigentlich noch einen anderen Traum. »Ich freue mich, inzwischen in der privilegierten Position zu sein, nicht mehr bloß die typischen Rollen angeboten zu bekommen, die südasiatische Männer sonst spielen dürfen. Und ich hätte richtig große Lust darauf, James Bond zu spielen«, gab Patel 2024 freimütig im »Guardian« zu Protokoll. Nur um direkt hinterherzuschieben, dass er alles darauf wetten würde, für die 007-Rolle nie im Leben in Betracht gezogen zu werden. Dabei sollte eigentlich gerade jemand, der es vom pickeligen Seifenoperndarsteller zum Kinostar geschafft hat, wissen, dass tatsächlich kein Traum zu groß ist, um doch noch Wirklichkeit zu werden.
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