»Leben als Performance« – Timothée Chalamet als Bob Dylan? Klingt nach Selbstläufer! Über den Musiker und seine Kino-Gesichter +++
»Rio, die 70er« – »Für immer hier« von Walter Salles erzählt Politik als Familiendrama. Die Geschichte hinter dem Film +++
»Hommage an Lynch« – David Lynch hat eine Generation von Cineasten geprägt. Ein Blick auf die Stilelemente, die seine Filme so besonders gemacht haben +++
Im Kino: Das Licht von Tom Tykwer | Heldin | Flow | Mickey 17 von Bong Joon-ho | Köln 75 +++
Streaming: The White Lotus Staffel 3 | The Gorge | Cassandra | Families Like Ours von Thomas Vinterberg +++
In diesem Heft
Tipp
Regierung unter Zugzwang: »Unschuldig – Mr. Bates gegen die Post« ist ein gutes Beispiel für ein intervenierendes Tatsachendrama.
Das Filmmuseum Potsdam erweitert mit dem Schaudepot die Sichtbarkeit seiner Sammlung.
Anatomie eines Medienskandals: Machtverhältnisse und Geschlechterbeziehungen in der TV-Branche sind Themen in Steven Moffats »Douglas Is Cancelled«.
Sci-Fi im Retro-Look: In »Cassandra« zieht eine sympathische Familie in ein Haus mit Smarthome-Funktion.
Justin Kurzel verarbeitet in seinem Thriller einen wahren Fall aus den 80er Jahren, in dem es um kriminelle Machenschaften einer berüchtigten militanten Neonazi-Vereinigung im Nordwesten der USA geht.
1971 wird Rubens Paiva aus seiner Wohnung in Rio de Janeiro abgeführt, gefoltert und ermordet, eines von vielen Opfern der brasilianischen Militärdiktatur. Walter Salles erzählt in leisen Tönen mit geradezu provokanter Zurückhaltung von den Schrecken der Militärdiktatur und spiegelt damit die Haltung von Paivas Frau, die ein Leben lang als Aktivistin gegen das Vergessen kämpfte.
Mit »Apple Cider Vinegar« adaptiert Netflix eine weitere seinerzeit für Schlagzeilen sorgende Geschichte einer Scammerin: Die Australierin Belle Gibson hatte jahrelang behauptet, ihren Gehirntumor selbst geheilt zu haben.
Thomas Vinterberg spielt in »Families Like Ours« mit der Umdrehung der Migrationsströme: Was, wenn auf einmal alle Dänen zu Flüchtenden werden, weil ihre schöne Halbinsel im Zuge des Klimawandels überflutet wird?
Am 5.3. spricht Benjamin Pfohl mit Jens Balkenborg über seinen Film »Jupiter«.
In der dritten Staffel von »The White Lotus« entwickelt Mike White seine dramaturgische Formel über Nichtstun, Klassengegensätze und Wellnesskultur weiter.
In »The Gorge« spielen Miles Teller und Anya Taylor-Joy zwei Scharfschützen, die an gegenüberliegenden Enden eine Schlucht bewachen – es könnte auch alles eine Metapher sein.
Thema
»Für immer hier« von Walter Salles erzählt Politik als Familiendrama. Die Geschichte hinter dem Film, der in seiner Heimat ein politisches Beben ausgelöst hat.
John Magaro ist Spezialist für die feinen Töne, ein Schauspieler, der oft ganz hinter seinen Rollen verschwindet und mit kleinen und persönlichen Filmen genau seine Nische gefunden hat.
Timothée Chalamet als Bob Dylan? Klingt nach Selbstläufer! Über den Musiker und seine Kino-Gesichter von »Dont Look Back« (1967) bis zum aktuellen »Like a Complete Unknown«.
Meldung
Pamela Hogan, ist eine amerikanische Produzentin, Journalistin und Regisseurin. Sie drehte den preisgekrönten Dokumentarfilm »Looks Like Laundry, Sounds Like Laury« und ist Co-Creator der Serie »Women, War & Peace«. Ihr mit Hrafnhildur Gunnarsdóttir realisierter Dokumentarfilm »Ein Tag ohne Frauen« startet am 13. März.
Das Sundance Festival ist zu groß geworden für Park City. Von den Filmen konnte man das in diesem Jahr nicht sagen: der amerikanische Spielfilm, die fiktionale Sparte, zeigte Schwächesymptome.
Christian Friedel, geboren am 9. März 1979 in Magdeburg, ist Schauspieler. Internationale Aufmerksamkeit erregte er jüngst als Rudolf Höß in »The Zone of Interest«. Friedel tritt im Theater auf und singt in der Band »Woods of Birnam«. Ab 17. Februar spielt er in der dritten Staffel von »The White Lotus«.
Filmkritik
Eine arme Holzfällerfrau rettet ein Baby, das aus dem Todeszug nach Auschwitz geworfen wurde. Oscarpreisträger Michel Hazanavicius erzählt in seinem märchenhaften Animationsfilm von den Gräueln des Holocaust und Momenten der Mitmenschlichkeit.
Assaf Lapids Film bringt dem Publikum Leben und Werk des israelischen Autors Yehiel De-Nur ganz nah. Als »Ka.Tzetnik 135633« hat er in seinen Büchern versucht, den »Code« von Auschwitz zu entschlüsseln.
In Todd Komarnickis verworrenem Biopic wird das Leben des evangelischen Theologen und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer zur Geschichte eines Heilsbringers umgedeutet. Sorglos im Umgang mit biographischen und historischen Fakten, verzichtet der pathosgeladene Film auf jegliche Einordnung in den Kontext der Widerstandsbewegungen gegen die Nazi-Barbarei.
Dokumentarfilm über die tschechische Fotografin Libuše Jarcovjáková, der aus nichts anderem besteht als aus ihren Fotos, Texten aus ihrem Tagebuch und, ganz wichtig, Musik und Geräuschen.
1971 wird Rubens Paiva aus seiner Wohnung in Rio de Janeiro abgeführt, gefoltert und ermordet, eines von vielen Opfern der brasilianischen Militärdiktatur. Walter Salles erzählt in leisen Tönen mit geradezu provokanter Zurückhaltung von den Schrecken der Militärdiktatur und spiegelt damit die Haltung von Paivas Frau, die ein Leben lang als Aktivistin gegen das Vergessen kämpfte.
Mit ihrem filmischen Reisetagebuch feiern Timo Götz und Salima Oudefel die Weltoffenheit einfacher Menschen.
Ein junger Mann kehrt nach Jahren in sein Heimatdorf zurück. Alain Guiraudies schwarzhumoriger Provinzthriller wird zur philosophisch verspielten Fantasie über unvorhersehbare Begierden und zum Plädoyer für barmherziges Miteinander.
Der Film des lettischen Regisseurs Gints Zilbalodis erzählt, wie eine Gruppe von Tieren in einer überfluteten Welt zu überleben versucht. Kein Wort fällt, die Bilder sprechen. Volle Punktzahl für die außergewöhnliche, einfallsreiche Animation.
Über den Tod in einer säkularen Gesellschaft denken in diesem Interviewfilm sieben Gesprächspartner nach, Wissenschaftler, ein Philosoph und ein Bestatter, ein Kulturkritiker und ein Filmregisseur. Trotz einiger stilistischer Mätzchen sehr aufschlussreich.
Gia Coppalas Film erzählt das letzte Kapitel in der Karriere eines Showgirls in Las Vegas. Hauptdarstellerin Pamela Anderson bringt Lebenserfahrung in ihre Darstellung ein, aber der Film besitzt auch einen universellen Kern und künstlerische Kraft.
Ein Bildungsroman um eine junge Kunststudentin, die in einem quicklebendigen Karneval der Egos, Strömungen und Launen mehr noch zur Lebenskunst als zum Kunsthandwerk findet.
Atmosphärisch dicht erzähltes Drama um einen syrischen Geflüchteten, der in Europa seinen einstigen Peiniger aufspürt und dessen Trauma sich in tiefer Trauer äußert, großartig gespielt von Adam Bessa.
Renée Zellweger schlüpft erneut in ihre Paraderolle – und hat dabei genau wie der Film ein wenig Anlaufschwierigkeiten, findet dann aber, mit Peinlichkeiten und sehr charmanten Momenten seinen Groove.
Ein Aprilscherz mit Folgen: Ausstauschüler Xi vertauscht einen Pizzakarton und findet sich mit Lucas in einer Mafia-Verschwörung um einen Haufen Geld wieder. Benjamin Heisenberg spielt in seiner rasanten Buddy-Komödie selbstbewusst mit Genre-Tropen.
Elegant-betörendes Biopic über die Entstehung des monumentalen Orchesterstücks und seines Schöpfers Maurice Ravel – mit viel Charisma von Raphaël Personnaz verkörpert.
Bildgewaltig aber konventionell inszeniertes Biopic über die Selbstermächtigung von Niki de Saint Phalle als Künstlerin und Frau –
mit einer überzeugenden Charlotte Le Bon.
In dieser sanften Frauenkomödie raufen sich anlässlich eines Krankheitsfalls auf einer Hühnerfarm drei Generationen zusammen, was dank bukolischer Landschaftsfotografie und einer gut aufgelegten Catherine Deneuve als lässige Großmutter viel Spaß macht – sofern es einem gelingt, Klischees zu ignorieren.
Intensiver Horrorfilm, der sich nicht mit oberflächlichen Schockeffekten zufrieden gibt, sondern wie ein Dämon Körper und Geist durchdringt und die Frage nach dem Ort des Bösen unbeantwortet lässt.
Zwei Schwestern auf dem Weg von Warschau in eine Schweizer Sterbeklinik, wo die ältere selbstbestimmt ihr Leben beenden will. Der Film wirkt gerade dadurch anrührend, dass er sein Publikum mit dieser Situation konfrontiert, ohne es emotional zu überwältigen.
Zum 50. Jahrestag des großen Frauenstreiks in Island kommt in US-isländischer Kooperation eine sympathetische historische Feierstunde, die aber in entscheidenden Punkten stark unterbelichtet ist.
Empathische Langzeitbegleitung dreier Mädchen, die als Rapperinnen in einem sozialpädagogischen Zentrum in Berlin mentale und praktische Unterstützung finden.
Mit inszenatorischer Verspieltheit erzählt der Film von den Umständen des legendären »Köln Concert«, feiert die damalige Konzertveranstalterin Vera Brandes und macht Lust auf die Originalmusik von Keith Jarrett, die im Film leider nicht verwendet werden durfte.
Eine lange Nachtschicht im Krankenhaus ist auf atemlose neunzig Minuten verdichtet. Leonie Benesch brilliert auf dem schmalen Grat zwischen äußerer Beherrschung und unterschwellig brodelnden Gefühlen.
Ein bisschen »La La Land«, ein bisschen »Teorema«, ein bisschen »Lola rennt«: Mit Flasmob-Getanze und einem bunten Themenmix versucht Tom Tykwer ein Porträt der Gegenwart. Vage, aber nie besserwisserisch, mit Mut zu Peinlichkeit und Fragilität.
Flott erzählt mit gut aufgelegten Darstellerinnen, werden in Karoline Herfurths Episodenkomödie die Frauenschicksale ihres Vorgängerfilms weitergesponnen – diesmal jedoch mit düstereren Klängen, gelegentlich forciert und weniger lebensnah.
Biopic über Bobb Dylans frühe Jahre, den Weg zum Star eigener Ordnung und die Rebellion gegen die Vereinnahmung durch Musikindustrie und dogmatische Fans.
Bong Joon-hos Doppelgängerfilm startet vielversprechend, reproduziert aber letztlich nur altbekannte SciFi-Motive mit Slapstick und plakativer Gesellschaftskritik.
Die Geschichte der künstlerischen Partnerschaft und Freundschaft zwischen dem Komponisten Michael Jary und dem Textdichter Bruno Balz erzählt nicht nur von der Wirkmächtigkeit populären Liedguts sondern auch von der Ambivalenz von Texten, die in einer Diktatur entstehen.
Der »neue« Captain America in Gestalt von Anthony Mackie besteht sein erstes Kino-Abenteuer an der Seite von Harrison Ford, der in der Rolle eines frisch gewählten US-Präsidenten Macher-Qualitäten unter Beweis stellt. Ansonsten verbringen die Figuren viel Zeit damit, den Marvel-Neuzugängen im Publikum zu erklären, was vor sich geht.
Ein moderner Twist auf die männliche Sehnsucht nach gefügigen Frauen: Virtuos und mit vielen pointierten Wendungen, lässt Drew Hancock sein Spielfilmdebüt zwischen Sciencefiction, »Cabin in the Woods«-Horror, Komödie und Satire oszillieren, während Sophie Thatcher mit simulierten und echten Gefühlen jongliert.