Kritik zu Ice Aged
Alexandra Sell porträtiert in ihrem Dokumentarfilm die Szene der »Adult Figure Skaters« – Spätberufener, die im Eiskunstlauf mit großem Ehrgeiz weiter Wettbewerbe bestreiten
An Alexandra Sells sonore Stimme erinnern sich einige vielleicht aus ihrem Langfilmdebüt »Durchfahrtsland«, der 2005 beim Forum der Berlinale auch wegen dieser originellen Erzählbegleitung Aufmerksamkeit erhielt. Sell schuf mit fast märchenhafter Naivität aus einigen Personen des zwischen Köln und Bonn gelegenen »Vorgebirges« ein aus der Zeit gefallenes skurriles Universum. In ihrem jüngsten Film verwendet sie das gleiche Kunstmittel für ein nur etwas anders gelagertes Unterfangen in einem virtuellen Raum: Es geht um die Welt des Eiskunstlaufs, die seit den institutionellen Anfängen im 19. Jahrhundert von der winterlichen Belustigung zu einem etablierten Sektor an der Grenze von tänzerischem Ausdruck und Hochleistungssport wurde. Diese Welt ist der Filmemacherin vertraut seit ihrem zweiten Film, der – als Fiktion – von der sehr späten Befreiung einer unterdrückten Tochter durch das Eislaufen erzählt und Sell erste Bekanntschaft mit echten »Adult Skaters« machen ließ.
Aus der Kreuzung von artistischem Kunstwillen und Athletik kommt wohl auch die Verführungskraft des Sports für die in »Ice Aged« versammelten Fans der Kälte, die nach ihrer beruflichen Laufbahn in der Freizeit – aber durchaus ernsthaft – den Weg auf das Eis finden. Fixpunkt ist dabei die seit 2005 bestehende »Adult Figure Skating Competition« in Oberstdorf, die sechs HobbysportlerInnen und die ehemalige olympische Preisrichterin Sissy Krick auf dem Parcours zusammenbringt und am Ende des Films steht.
Da ist Elena, Duisburgerin mit sowjetischen Wurzeln, die als Kind für ihren Hang zum Eislauf geschlagen wurde und nun zu Hause selbst das kitschige Kostüm für ihre Tanzfigur näht – im anderen Leben ist sie Ingenieurin für Kraftwerkstechnik. Auch Nadja ist geborene Russin und fing in London mit 44 Jahren mit dem Eislauf an, während Freund David seit seiner Jugend erfolgreich auf der »Planet Ice«-Eisbahn in Cambridge tanzt. Gemeinsam unterstützen beide das Comeback von Freundin Linda, die in ihrer Jugend mehrfache britische Meisterin im Paarlauf war, doch dann für die Familie aus der Öffentlichkeit verschwand. Endsechzigerin Toos Wintjes aus den Niederlanden wird vom Ehemann zu Training und Wettbewerben begleitet. Und Roland Suckale aus den USA gibt mit Tanzpartnerin Erica auf dem Eis erfolgreich die Rolle des »grollenden Pärchens«.
Das ist eines von vielen Stereotypen des Eissports, die Sells begleitendes Voiceover oft mit leichter Ironie streift, um sie nicht allzu peinlich aussehen zu lassen. Dieser Kommentar verdichtet die komplexen biografischen Elemente verspielt, so dass »Ice Aged« erfreulicherweise ganz ohne dokuübliche Intervieweinblendungen auskommt. Dick aufgetragen wird dafür bei der Musik, deren diegetische Basis auf dem Eisring Filmkomponist Rainer Oleak manchmal bis zur Schmerzgrenze illustrativ aufplustert. In Sachen Eissport selbst setzt »Ice Aged« Begeisterung für sein Sujet voraus. So dürften die, die die Faszination für Doppelaxel und dreifache Rittberger vor dem Film eher abwegig fanden, auch danach fremdeln.
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