Berlinale-Retro: Präzise Abbilder der Zeit
»Blutiger Freitag« (1972)
Mit »Wild, schräg, blutig. Deutsche Genrefilme der 70er« wirft die Retrospektive der Berlinale einen kleinen Blick auf Vergessenes der deutschen Filmgeschichte
Kurz vor dem Ende stehen sie sich auf einem leeren U-Bahnsteig gegenüber: der weltmännisch-elegante Philipp Kramer alias Franz Lerchenfeld, der seine Bank um zwei Millionen erleichtert hat, und der Kleinganove Ossi Renz, der ihm das Geld abnehmen will. Dafür hat er Kramers kleinen Sohn entführt. Der und seine Mutter Sybille stehen zwischen den Kontrahenten, die ihre Waffen gezückt haben. Und gerade hat auch noch der ermittelnde Polizeibeamte, der Kramer gefolgt ist, die Szenerie betreten. Was jetzt in einem tödlichen Feuergefecht enden könnte, löst sich allerdings ganz anders auf: »Warum teilen wir nicht?«, schlägt Sybille vor.
Ein anderer Banküberfall: Im Gerichtsgebäude von seinen zwei Kumpanen aus dem Gewahrsam der Polizei befreit, plant der Berufsverbrecher Heinz Klett das große Ding. Der Banküberfall entwickelt sich zur Geiselnahme. Als das Gangstertrio die Bank mit zwei Geiseln verlässt, hat es bereits zwei Tote gegeben. Es werden nicht die Einzigen bleiben.
»Fremde Stadt« und »Blutiger Freitag« kamen 1972 im Abstand von zehn Wochen in die deutschen Kinos. Der eine ein deutscher Autorenfilm, der vierte abendfüllende von Rudolf Thome (damals 33), der andere ein Industrieprodukt, eine deutsch-italienische Koproduktion der Lisa-Film (die ansonsten Komödien mit Mike Krüger & Thomas Gottschalk und Softsexfilme herausbrachte), inszeniert (und geschrieben) vom damals 53-jährigen Rolf Olsen, in der Filmindustrie seit 1949 tätig. Beide Filme sind präzise Abbilder ihrer Zeit: Bei Thome verknüpft sich die Utopie der Achtundsechziger mit dem lässigen Charme der »Neuen Münchner Gruppe«, die ein bestimmtes Lebensgefühl genau einfing, dessen Ende allerdings schon absehbar war. Rudolf Thome wird nach dem finanziellen Misserfolg von »Fremde Stadt« fortgehen aus München und in Berlin mit einer anderen Art von Filmen neu anfangen. Klaus Lemke, ein weiterer Protagonist der Gruppe, erfindet sich im selben Jahr in Hamburg mit »Rocker« neu, ein Straßenfilm mit Laiendarstellern, ebenfalls Teil der Retrospektive.
Olsens so ruppiger wie düsterer »Blutiger Freitag« wiederum wirkt prophetisch: die »bleierne Zeit« mit der Gewalt gegen den Staat und der Gewalt des Staates. Sein Protagonist (verkörpert von Raimund Harmstorf, wenige Monate zuvor als »Der Seewolf« zu Ruhm gekommen) ist ein triebgesteuertes Monster, Mord und Vergewaltigung inbegriffen. Von den jungen Filmemachern war eine Neubelebung des Genrekinos zu erwarten, von Rolf Olsen nicht. »Blutiger Freitag« bleibt auch 2025 ein verstörender Film, der wahrlich unter die Haut geht – eindeutig die (Wieder-)Entdeckung dieser Retrospektive, nicht zuletzt dank der Firma Subkultur Entertainment, die ihn 2017 aufwendig restaurieren ließ.
Der Gegensatz zwischen trostlos-harter Realität und utopischen Ausbruchsfantasien prägt viele der Retrofilme, manche sind dabei ihrer Zeit voraus, so Rainer Erlers »Fleisch« (über illegalen Organhandel) oder Wolfgang Petersens »Einer von uns beiden«, in dem einem Uniprofessor seine abgeschriebene Doktorarbeit zum Verhängnis wird. Eckhart Schmidts »Männer sind zum Lieben da« verbindet die Nonchalance von München-Schwabing mit einem Science-Fiction-Motiv, wenn Frauen von einem anderen Planeten Männer schrumpfen, um sie später als Sexsklaven zu gebrauchen. In »Deadlock« (1970) lässt Roland Klick den Traum vom großen Geld brutal scheitern: zwei Banditen flüchten nach einem Bankraub in eine nahezu verlassene mexikanische Geisterstadt, wo ein wilder Kampf um die Beute beginnt. Der Klassenkampf (der bei Heinz Klett in »Blutiger Freitag« eher Attitütde ist, aber bei seinem Gastarbeiter-Kumpel Luigi schon viel Wahrheit enthält) wird real in dem Vampirfilm »Jonathan«, dem Regiedebüt des späteren »Lindenstraßen«-Erfinders Hans W. Geissendörfer, in dem sich die Volksmassen am Ende gegen den lokalen Tyrannen erheben.
Mit elf Filmen aus der Bundesrepublik und vier aus der DDR wendet sich die Retrospektive einem lange vernachlässigten Kapitel der Filmgeschichte zu, das sonst eher in spezialisierten Zeitschriften und Websites seinen Niederschlag findet, aber auch in den abendfüllenden Essayfilmen »Verfluchte Liebe deutscher Film« und »Offene Wunde deutscher Film« von Dominik Graf und Johannes F. Sievert.
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