Kritik zu Simón de la Montaña

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Der argentinische Regisseur Federico Luis kehrt in seinem Langfilmdebüt die übliche Fragestellung um Identität und Stigmatisierung um: Ein junger Mann täuscht Behindertenstatus vor und sucht Anschluss in einer Gruppe

»Je dümmer, desto besser«, rät Pehuén (Pehuén Pedie) Simón (Lorenzo Ferro) vor dem Termin mit der Sachbearbeiterin, um einen Behindertenausweis zu beantragen. Pehuén weiß, wie es läuft, er hat mit seinen kognitiven Einschränkungen selbst einen solchen Ausweis, der ihm das Leben ein bisschen leichter macht. Sein neuer bester Freund Simón besitzt keinen, weil bei ihm nie ein Behindertenstatus festgestellt wurde. Aber er hätte gern einen, damit sie zusammen gratis ins Kino können, zum Beispiel. Um das Dokument bewilligt zu bekommen, muss Simón bei der Behörde etwas vorspielen. Gesten und Feinmotorik hat er sich abgeschaut bei Pehuén und den anderen Jugendlichen, mit denen er seit einer Weile abhängt. Und imitiert nun vor der Beamtin, während sein Freund mit dem ganz realen Handicap daneben sitzt und die Performance unauffällig lenkt. Wie es lief, will Simón danach wissen und Pehuén gibt sich zufrieden: »Gut. Drei von fünf.«

Das Langfilmdebüt des 1990 in Buenos Aires geborenen Regisseurs Federico Luis provoziert. Es erzählt von einem 21-Jährigen, der sich als behindert ausgibt und einer Gruppe Jugendlicher mit tatsächlichen Behinderungen anschließt. Eines Tages ist er einfach da, bei einem Ausflug in zugiger Andenlandschaft. Niemand scheint zu wissen, wer er ist und woher er stammt. Aber er passt sich geschmeidig an, wird freundlich aufgenommen. Am Ende kommt er einfach mit in die Behindertenstätte, gibt sich als einer der ihren aus, indem er subtil verhaltensauffällig agiert. Als die Leiter stutzig werden, wird Simóns nichtsahnende Mutter dazugerufen. Erst irritiert, dann verärgert stellt sie ihren Sohn zur Rede. Sein Verhalten macht sie ratlos, das ohnehin schwierige Verhältnis wird weiter zerrüttet. Simón lässt sich nicht davon abbringen, immer mehr Zeit mit Pehuén und den anderen zu verbringen.

Der Film negiert nicht simpel den vermeintlichen Gegensatz von »normal«/anders, sondern stellt unbequeme Fragen. Wie weit darf jemand gehen auf der Suche nach der eigenen Identität und dem Wunsch nach Zugehörigkeit und Gemeinschaft? Und wie lässt sich das thematisieren, ohne zu stigmatisieren und in Stereotype zu verfallen? Die behinderten Jugendlichen sind keinesfalls als hilflose Opfer dargestellt. Pehuén weiß sehr genau um Simóns Disposition und fördert dessen Wunsch, sich der Gruppe anzupassen. Er kennt das System gut genug, um zu wissen, wie man es unterläuft. Ein Mädchen aus der Gruppe, Coco (Kiara Supini), findet Simón attraktiv und setzt den zögerlichen Mann schließlich unter Druck. »Ich weiß, dass du lügst. Wenn du nicht mit mir schläfst, sage ich allen, dass du nur spielst.«

Hauptdarsteller Lorenzo Ferro ist professioneller Schauspieler (Der schwarze Engel), alle anderen Jugendlichen sind Laien mit realen Behinderungen. Die Handkamera ist oft ganz nah an den Figuren, dadurch entstehen immer wieder authentische Momente und eine unmittelbare Lebendigkeit. Das Drumherum bleibt unscharf, wie auch Simóns soziales Umfeld nicht beleuchtet wird. Federico Luis lässt letztlich offen, was Simón umtreibt, warum er in diese Ersatzwelt flüchtet. Darauf muss man selbst Antworten finden.

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