Kritik zu Mond

© Grandfilm

2024
Original-Titel: 
Mond
Filmstart in Deutschland: 
27.03.2025
L: 
93 Min
FSK: 
16

Ihr erster langer Spielfilm war »Sonne«, und so klar und prägnant wie diese Titel ist auch Kurdwin Ayubs Inszenierung, wenn sie von einer jungen Österreicherin erzählt, die im Nahen Osten einen Job annimmt und nicht ahnt, auf was sie sich einlässt

Bewertung: 4
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Kurdwin Ayub macht in ihrem von Ulrich Seidl produzierten und in Locarno mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichneten Film ziemlich viel ziemlich anders, als man es erwarten würde. Das fängt mit der Hauptfigur an: Sarah ist eine junge Kampfsportlerin, die zwar ein Wandregal voller Pokale hat, deren Karriere aber in einer Sackgasse angelangt ist und die abseits des Rings nicht so recht zu wissen scheint, wohin mit sich – wie auch mit ihren Aggressionen. Gespielt wird sie von der österreichischen Choreografin und Performancekünstlerin Florentina Holzinger, bekannt für radikale Körperinszenierungen, in ihrer ersten Filmrolle.

Als Sarah ein Jobangebot bekommt, die drei Töchter einer reichen jordanischen Familie im Kampfsport zu unterrichten, könnte das den Neustart bedeuten. In Amman angekommen, ist sie zunächst von den fast traumhaften Umständen geblendet: Unterkunft im Luxushotel, ein Fahrer, der sie täglich aus der Stadt raus zur großzügigen Villa der Familie und später wieder zurück in die Stadt befördert, großzügige Vergütung samt jeder Menge Spesen … Nur das Training gestaltet sich anders als erwartet, da die drei jungen Frauen kaum Interesse an sportlicher Betätigung zeigen, stattdessen widmen sie sich lieber Daily Soaps oder gehen in die Mall zum Shoppen. Und was auf den ersten Blick nach privilegierter, ja durch und durch verwöhnter Teenagerexistenz aussieht, entpuppt sich rasch als Gefängnis. Während ihre Familie größtenteils abwesend oder unsichtbar bleibt, sind die Töchter sich selbst überlassen, ohne Freundinnen oder Freunde, ohne Internet. Alleine das Haus verlassen dürfen sie nicht, geschweige denn abends ausgehen, und ständig sind Hausangestellte und Aufpasser präsent. Auch darf Sarah nicht den ersten Stock betreten, wo die Zimmer der Mädchen sind. Und als sie es auf Bitten von Nour (Andria Tayeh) dann doch einmal tut, hat das beunruhigende Folgen.

Sarahs wachsende Zweifel an ihrem Job und ihre Verlorenheit in der fremden Umgebung spielt Florentina Holzinger mit einer Einfachheit und Natürlichkeit, die sich perfekt in Kurdwin Ayubs lakonisch-präzise Inszenierung einfügt. »Mond« erzeugt ohne jedes Tamtam eine immer beklemmendere Atmosphäre und wird zielsicher zum Thriller. Könnte Sarah die jungen Frauen aus ihrem familiären Gefängnis befreien, ihre Retterin sein? Und, filmisch gedacht, sollte die Kampfsportlerin nun zur Actionheldin werden?

So manche Erwartung lässt der Film, während er Sarahs Geschichte entlang von Thriller-, aber auch Märchenmotiven erzählt, ins Leere laufen, und das Klischee vom White Savior stellt er gründlich infrage. Schon die Ankunft Sarahs in Jordanien scheint eine subtile Andeutung zu sein: Das erste Licht des Sonnenaufgangs sieht man da in die Wüste von Wadi Rum fallen – und erinnert an jene berühmte Sequenz von David Leans »Lawrence von Arabien«, der vom Scheitern eines anderen weißen Retters erzählte.

Kurdwin Ayub, als Kurdin im Irak geboren und in Österreich aufgewachsen, lässt außerdem souverän so ziemlich alles links liegen, was Vorurteile um muslimische Lebenswelten angeht. Sie verortet ihre Handlung realistisch, lässt aber viele Fragen offen und verschiedene Deutungen zu. So erzählt »Mond« letztlich eine universelle Geschichte, und eine seiner größten Stärken ist, dass er sie mehr über Räume und Körper als über Worte erzählt: lange, anonyme Korridore beispielsweise, durch die Sarah immer wieder geht, oder die luxuriösen, doch kalten Zimmer in der Villa der Schwestern, die lauernde Spannung in Sarahs durchtrainiertem Körper, die sich einmal im Stroboskoplicht eines Clubs in einem alkoholisierten, explosiven Tanzrausch entlädt. Befreiungsschlag oder Zusammenbruch? Wenn am Ende der Mond über schwarzen österreichischen Bergen steht, wirken viele Fragen noch nach. 

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