Kritik zu The End
Postapokalypse als Musical? Tilda Swinton, Michael Shannon und George MacKay stellen sich als überlebende Superreiche im Luxusbunker den stimmlichen Herausforderungen in Joshua Oppenheimers eigenwilligem Familiendrama
Zwanzig Jahre ist es her, da hat eine nicht näher bestimmte Umweltkatastrophe die Erde unbewohnbar hinterlassen. Wie viele Menschen das überlebt haben, ist unklar. Könnte diese kleine Gemeinschaft im Luxusbunker, tief in gewaltigen unterirdischen Schächten verborgen, der letzte Rest der Menschheit sein? Man hat sich jedenfalls eingerichtet in der Isolation: Die Mutter (Swinton) beschäftigt sich obsessiv mit Kunst und sorgt dafür, dass der Bunker immer möglichst heimelig dekoriert ist, der Vater (Shannon), ehemals einer der ganz Großen der »Energiewirtschaft« und mutmaßlich mitverantwortlich für den Untergang, arbeitet an seinen Memoiren, die der zwanzigjährige Sohn (MacKay) als Ghostwriter ausformuliert. Der Sohn hat nie die Erdoberfläche gesehen, er erträumt sich die alte Welt beim Bauen von Modelleisenbahn-Landschaften samt historischen Ereignissen. Bei der Kleinfamilie leben außerdem eine »Freundin«, ein Butler und ein Arzt, die für das leibliche respektive gesundheitliche Wohl der Familie sorgen und sie mit Notfallübungen auf Trab halten. Um sich fit zu halten, zieht man Bahnen im häuslichen Pool.
Ach ja, und dann bricht man eben häufig ganz spontan in gefühlvollen Gesang aus. Ganz wie im klassischen Hollywood-Musical, völlig unironisch und stets mit Emphase. »Together the future is bright«, heißt es schon im ersten Song – doch da ist immerhin etwas Doppelbödiges, denn angesichts der Perspektive, den Bunker niemals verlassen zu können und nie anderen Menschen als den vertrauten zu begegnen, muss man sich schon viel Mut und Fröhlichkeit einreden und -singen. Die Gesangsparts bewältigen die ansonsten so souveränen Stars unterschiedlich gut. Es gibt einige Momente, in denen man ein gewisses Unbehagen in den Gesichtern von Shannon oder Swinton vermuten kann, während MacKay sich singend und tanzend wohler zu fühlen scheint.
Nach den beiden vielfach preisgekrönten Dokumentarfilmen »The Act of Killing« und »The Look of Silence« über die Massenmorde in Indonesien in den 1960er Jahren ist der Spielfilm »The End« sicher eine Überraschung im Werk Joshua Oppenheimers. Allerdings: Zumindest »The Act of Killing« ist mit seinen extrem stilisierten Spielszenen ästhetisch mindestens ebenso kühn wie dieses Endzeit-Musical. Und es gibt kleine strahlende Momente in »The End«, wo die seltsame Melange aus Kammerspiel, Familiendrama und Endzeitreflexion mit emotionalen Gesangseinlagen zu funktionieren scheint. Doch die Songs sind leider relativ eintönig und unoriginell, so dass man sie eher als fragwürdige Unterbrechung des Erzählflusses wahrnimmt.
Die Handlung, auf diese Weise auf zweieinhalb Stunden gedehnt, hat zwar verschiedene Ebenen, die Konflikte aber, die mit dem Auffinden einer Fremden – Moses Ingram als positive Überraschung, schauspielerisch wie gesanglich – ihren Anfang nehmen, sind so facettenreich wie spannungsarm. Es geht zunächst um die Frage, ob man die Fremde verstößt oder aufnimmt, dann, als man sich nach einer beunruhigenden Eskalation zur Gastfreundschaft entschließt, um Konflikte, die aus der zärtlichen Annäherung zwischen dem Sohn und der Fremden entstehen. Und schließlich: um quälende Schuldgefühle versus entlastenden Selbstbetrug der Überlebenden angesichts all der Umgekommenen, um Arm und Reich, um Verantwortung für die Welt und füreinander, um eine Perspektive – »Together the future is bright« …
Oppenheimer will ästhetisch wie inhaltlich also eine ganze Menge. Doch leider geht nichts davon wirklich auf. Das Parabelhafte der Erzählung, die Aktualität seiner Themen wiegen allzu schwer auf diesem nicht sehr tragfähigen, skurrilen bis enervierenden Musicalkonstrukt. Und so entfaltet der tiefe Humanismus, der aus diesem Film letztlich ebenso wie aus den dokumentarischen Vorgängern spricht, kaum Kraft, wirkt stattdessen manchmal nur »gut gemeint«.
Am Ende von »The End« bleiben ein paar wunderbare und ein paar peinliche Momente, einige starke Einzelleistungen – beispielsweise auch die spannungsreiche Lichtgestaltung von Kameramann Mikhail Krichman –, aber insgesamt ein Gefühl des Unausgegorenen.
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