Kritik zu Quiet Life
Kühles und doch hoch emotionales Drama um eine russische Familie, die in Schweden unter unmenschlichen Bedingungen um Asyl ringt
Das Prozedere ist unmenschlich, entwürdigend. Völlig emotionslos trägt die korrekt in Grau gekleidete Frau den Bescheid in einem kargen, hellen Raum vor. Übers Telefon übersetzt eine Stimme die Worte ins Russische. Kontrolliert, aber voller Entsetzen nimmt die Familie das Gesagte auf. Je länger die kurze Verkündung dauert, desto mehr sacken die vier auf ihren Stühlen in sich zusammen, den beiden Mädchen laufen stille Tränen die Wangen hinunter. Der Asylantrag der Familie wurde abgelehnt. Wenig später wird das jüngere Kind, Katja (Miroslava Pashutina), in einen komaähnlichen Zustand fallen. Resignationssyndrom lautet die Diagnose.
Der griechische Regisseur Alexandros Avranas erzählt in seinem kühlen und dabei umso aufwühlenderen Drama »Quiet Life« von diesem Syndrom, das Anfang der 2000er Jahre in Schweden vor allem bei geflüchteten Kindern aufgetreten ist. Kinder, die gefangen sind in ihren Traumata und ihrer Angst vor der Zukunft, für die ihre Eltern ihnen kaum Sicherheit und Hoffnung geben können.
Der aus politischen Gründen geflüchtete Lehrer Sergei (Grigory Dobrygin) und seine Frau Natalia (Chulpan Khamatova) sind mit ihren Töchtern Katja und Alina (Naomi Lamp) bereits bestens in Schweden integriert, haben die Sprache gelernt, Katja singt im Chor, Alina ist eine erfolgreiche Turmspringerin. Noch am Abend vor dem Termin bei der Ausländerbehörde scherzt die Familie und gibt sich gegenseitig schwedische Namen. Doch schon zuvor hat Avranas eine Spur von Unbehagen ausgelegt.
Der Horror tritt ein, als Katja bewusstlos wird und in eine dubiose, wahlweise von dauergrinsenden oder roboterähnlichen Mitarbeiterinnen bevölkerte Klinik eingeliefert wird. Ihre Tochter dürfen Sergei und Natalia nur durch eine Fensterscheibe sehen, sie müssen ein Seminar belegen, in dem sie das Lächeln ebenso erlernen wie ihre Ängste, ihre Sorgen vor den Kindern zu verbergen. Das alles ist geisterhaft, beklemmend und oftmals surreal. Das Paar spricht ebenso wenig wie das ins Koma gefallene Kind und doch verbindet sie eine stille Gemeinschaft. Eines Tages widersetzen sie sich den Behörden, auf die Gefahr hin, dass sie niemals Asyl in Schweden erhalten.
Nüchtern erzählt Avranas, der zusammen mit Stavros Pamballis auch das Drehbuch geschrieben hat, von dem unwürdigen Umgang mit Asylsuchenden, dem gleichgültigen Misstrauen der Behörden, von Familientraumata und ihren Auswirkungen auf die Kinder. Stets ist er vor allem in Schlüsselmomenten ganz nah an den Gesichtern der verzweifelten Familie. Naomi Lamp als Alina verkörpert all den Schmerz, während sie von den Behörden mit Unglauben befragt wird, ebenso Chulpan Khamatova, die als Mutter ihre Kinder nicht beschützen kann. Avranas erzählt aber auch von der Kraft der Familie und des Zusammenhalts. »Quiet Life« ist ein ruhiger Film und ein stiller Aufschrei, großartig inszeniert und beeindruckend gespielt. Am Ende mag die Menschlichkeit siegen, doch hier ist sie hart und leidvoll errungen.
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