Kritik zu Parthenope
Paolo Sorrentino zeigt sich erneut besessen von der Trias Schönheit, Jugend und Vergänglichkeit: ein Kabinettstück der gebrochenen Schaulust, das seiner Geburtsstadt wieder ein Denkmal setzt
Bei ihrer letzten Begegnung, als er ihr die Antwort nicht länger vorenthalten darf, erklärt Professor Marotta endlich, was das Fach ausmacht, dem beide ihr Leben gewidmet haben: »Anthropologie heißt Hinschauen.« – »Es kommt mir vor«, erwidert Parthenope, »als hätte ich das mein Leben lang getan.« – »Nein«, beharrt der alte Mann, »das ist das Letzte, was man lernt, wenn alles andere schwindet.«
Eine rätselhafte Verbindung besteht zwischen den beiden, die im normalen Lauf der Dinge nichts gemeinsam haben dürften. Marotta (beglückend mürrisch: Silvio Orlando) ist ein Griesgram mit tragischem Familienleben. Parthenope (Celeste Dalla Porta) hingegen ist ein Schoßkind des Glücks: in eine reiche Familie hineingeboren und mit einer Anmut ausgestattet, die Herzen und Türen öffnet. Sie wird umworben von Verehrern, die beinahe jede Gesellschaftsschicht Neapels repräsentieren. Aber ihre Herkunft hat sie nicht zur Trägheit animiert, sondern zur Wissbegier. So kommen sie gemeinsam der Doppeldeutigkeit von Schaulust und Erkenntnis auf die Spur, die den Kern von Paolo Sorrentinos neuem Film bildet.
Das sind zwei Erzählimpulse, die sich nicht ohne Mühe verschmelzen lassen. Sorrentino, dem Maximalisten filmischer Prachtentfaltung, erscheint die Welt als ein Schaufenster des Exquisiten. Es ficht ihn nicht an, dass dem Prunkenden auf die Dauer eine gewisse Vulgarität innewohnt.
Die Neuentdeckung Dalla Porta setzt er in Szene als Verkörperung einer weniger individuellen als absoluten Schönheit, die in erlesen freizügigen Kostümen auftritt, darunter einem denkwürdigen Bikini. Von den gesellschaftlichen und politischen Verwerfungen der Jahrzehnte schirmt Sorrentino sie schonungsvoll ab.
Aber zugleich hat er einen philosophischen Film gedreht, der vor Fragen und Antworten birst. Dieses Nebeneinander kann man als ein wechselseitiges Ablenkungsmanöver betrachten. In dieser Lesart wäre der Regisseur ein Voyeur auf der Suche nach einem intellektuellen Alibi, das er im Zweifelsfall stets in der Melancholie findet. Um keinen Preis will er sich dabei ertappen lassen, Parthenope bloß als Objekt männlicher Fantasien zu inszenieren. Ihr Innenleben mag unergründlich scheinen, aber es ist vor allem reich. Ihren Werdegang erzählt er als eine Pikareske, die sich nicht an verschiedenen Orten (seinem Neapel kann dieser Filmemacher, ein für Entzauberung offener Schwärmer, partout nicht entrinnen) zuträgt, sondern durch die Zeit reist.
Die interessantesten Begegnungen erlebt Parthenope mit reiferen Männern: dem ausgebrannten Schriftsteller John Cheever oder einem Kardinal von anzüglicher Leibesfülle, der berufsbedingt dem Wissen einen anderen Wert beimisst als der Professor. Bei ihnen stößt sie auf eine Doppelwertigkeit von Sein und Reflexion, die sich in geschliffen zitierfähigen Epigrammen artikuliert. Die zwei Kraftfelder des Films jedoch bleiben Dalla Porta und Orlando. Welch Kinoglück, dass sie nicht kollidieren, sondern zu einem tiefen Einverständnis finden!
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