Kritik zu Ewige Jugend

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Während er in »La Grande Bellezza« auf den Spuren von Federico Fellinis »Das süße Leben« wandelte, legt Paolo Sorrentino nun sein »Achteinhalb« vor. Sein Ehrgeiz ist freilich zu groß, um nur ein Epigone zu sein: Das Raffinement, mit dem er das Publikum in eine prachtvolle Wehmutswelt entführt, ist eigenwillig genug

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Der Beruf des Schauspielers wird mit dem Alter anstrengender. Das ist keine Frage der nachlassenden Kräfte, der womöglich verblassenden Schönheit oder etwa des versiegenden Talents. Im Gegenteil, gerade bei den großen Darstellern schiebt sich eine merkwürdige Hürde zwischen sie und die Wahrnehmung ihrer Figuren. Wenn sie uns im Verlauf einer langen Karriere nicht allzu oft enttäuscht haben, fassen wir augenblicklich Vertrauen zu den Charakteren, die sie verkörpern. Ihre Gesichter und Stimmen sind uns so vertraut, dass wir ihnen keine Lüge oder Falschheit unterstellen mögen (oder doch zumindest erwarten, von ihnen sogleich in diese eingeweiht zu werden). Das lässt uns voreingenommen werden gegenüber ihren späten Rollen. Es braucht große Energie, gegen diese unfreiwillige Altersmilde anzuspielen. Nun ist uns zwar bewusst, dass Michael Caine und Harvey Keitel auf der Leinwand zu großer Boshaftigkeit, Gewalt oder Kaltherzigkeit fähig sind. Aber beinahe zwangsläufig wecken sie Wohlwollen. Und es fällt uns schwer, zu akzeptieren, wenn ihre Charaktere darüber klagen, ihr Leben vergeudet zu haben. Haben wir sie nicht so viel erleben sehen vor der Kamera?

In »Ewige Jugend« unternehmen sie heroische Anstrengungen, den Filter der automatischen Zuneigung zu durchdringen und dem Scheitern ihrer Figuren scharfe Konturen zu verleihen. Es trifft sich, dass ihr Regisseur Paolo Sorrentino ein Filmemacher der emphatischen Sichtbarkeit ist. Es käme ihm nicht in den Sinn, etwas zu verbergen; die menschliche Natur besitzt bei ihm in all ihren Facetten eminenten Schauwert.

Caine spielt den gefeierten Komponisten und Dirigenten Fred Ballinger, der alljährlich zusammen mit seinem Freund, dem von Keitel verkörperten Filmregisseur Mick Doy­le, Urlaub in einem Schweizer Grandhotel macht. Ballinger muss sich eingestehen, ein abwesender, apathischer Ehemann und Vater gewesen zu sein. Die Gegenwart seiner Tochter Lena (Rachel Weisz) erinnert ihn beharrlich daran. Sie ist seine Agentin – andernfalls ließe er sie vielleicht gar nicht in seine Nähe – und regelt mit kritischer Fürsorge die Abenddämmerung seiner Karriere. Doyle arbeitet mit einer Gruppe junger Autoren am Drehbuch zu seinem nächsten Film, der sein Testament werden soll und den traurig programmatischen Titel »Life's Last Day« trägt. Der Hollywoodveteran täuscht sich über die verbliebene Strahlkraft seines Ruhms; es ist fraglich, ob dies Projekt je realisiert wird. Elegant verschiebt Sorrentinos Drehbuch den Fokus von Ballinger auf Doyle und schließlich wieder zurück.

Nach »La Grande Bellezza« porträtiert der Regisseur wiederum eine Gesellschaft, die sich überlebt hat, deren privilegierter Lebensstil indes noch genug Glanz besitzt, um darüber hinwegsehen zu lassen. Am Schauspiel von Dekadenz und Überfluss kann er sich auch diesmal nicht sattsehen, zumal er ihm erneut einen zweiten Boden der Melancholie eingezogen hat. Die Vulgarität des Prunks geniert ihn nicht; er weiß, dass darin Leere nistet. Auf das große römische Fest, das er in seinem letzten Film zelebrierte, lässt Sorrentino nun die Erholung folgen.

Er begleitet seine Helden bei ihren täglichen Ritualen: dem wohligen Martyrium der Wellness-Behandlungen, den Mahlzeiten, bei denen sie spitzbübische Mutmaßungen anstellen über die anderen Gäste. Das Hotelleben erfüllt sich in köstlicher Verantwortungslosigkeit. Es ist der legitime Tagediebstahl zweier Männer, denen nicht mehr allzu viele bleiben. Die Erotik ist für sie kein Spielfeld der Eroberung mehr, sondern der Betrachtung. Der Anblick der Miss Universum, die sich ihnen in exquisiter Blöße im Schwimmbecken darbietet, ist kein Anlass der Erregung, sondern ein letztes Idyll. Der Bericht über ihre Prostata-Probleme bildet den koketten Endreim ihrer Gespräche.

Dieses heitere Einerlei wird gestört durch Abgesandte des englischen Königshauses, die Ballinger überreden wollen, seine berühmten »Simple Songs« noch einmal vor royalem Publikum aufzuführen. Doyle erwartet den Besuch seiner Muse Brenda Morel (Jane Fonda), deren Zusage über Wohl und Wehe seines Filmprojektes entscheiden wird. Auch Lena Ballinger hat das Recht, eine eigene, dramaturgisch gleichberechtigte Krise zu durchleben, als ihr Mann sie wegen einer Popsängerin verlassen will, die nicht ganz so farblos ist, wie es zunächst den Anschein hat.

Das Hotel ist im Kino stets ein Schauplatz, an dem sich die Dramen zuspitzen. »Ewige Jugend« fügt sich auf klassische, gleichwohl exzentrische Weise in diese Tradition. Obwohl das Grandhotel als Brennpunkt unterschiedlicher Geschichten fungiert, bildet es keinen Mikrokosmos der Gesellschaft. Dazu ist die Klientel zu exklusiv. Vielmehr dient es als Refugium, als befristete Bastion gegen die Welt draußen, in der die Jugend regiert. Als erzählerischer Resonanzraum funktioniert die abgeschlossene Welt des Hotels glänzend. Die Bildkomposition öffnet sich immer wieder für eine zweite oder dritte Ebene, die Montage schafft einen visuellen Widerhall.

In dieser Enklave lauscht jeder einer eigenen Melodie: der Filmstar (Paul Dano), der damit hadert, immer nur auf die Rolle reduziert zu werden, mit der er berühmt wurde; die Masseurin, die sich eigentlich als Tänzerin fühlt; die schüchterne Prostituierte, die allabendlich von ihrer Mutter zur Arbeit begleitet wird; das Maradona-Double mit Sauerstoffgerät und Karl-Marx-Tattoo. Die Schönheitskönigin schließlich ist, im Gegensatz zu den zweifelnden Männern, ganz mit sich im Reinen und wirft deren voyeuristische Blicke auf sie zurück.

Luca Bigazzis Kamera fängt diese prachtvolle Wehmutswelt mit lyrischer Ironie ein. Die ausgesuchte Symmetrie der Totalen wechselt sich ab mit extremen Nahaufnahmen, die jede Falte und Hautpore der Figuren zärtlich in den Blick nehmen. Auch Jane Fonda setzt sich in ihrem furiosen Kurzauftritt dieser Prüfung bereitwillig aus. Sorrentinos Schaulust ist affirmativ. Die grande bellezza ist sein ästhetisches Schicksal. Er muss nicht beschönigen, wie das Alter aussieht. Er offenbart die Schönheit, die ihm innewohnt.

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