Kritik zu La Grande Bellezza

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Für seinen neuen Film hat Paolo Sorrentino an Federico Fellinis Das süße Leben Maß genommen und muss den Vergleich nicht scheuen:
Er schillert zwischen Dekadenzsatire und Lebensbeichte

Bewertung: 5
Leserbewertung
4
4 (Stimmen: 1)

Moralische Autorität wirkt am stärk­sten, wenn sie uns jene Fragen aufgibt, die wir uns selbst stellen müssten. Darin beweist sie Einsicht in unsere Unzulänglichkeiten und Hoffnungen. Warum er nach dem ersten, vielversprechenden Roman denn nie einen zweiten geschrieben habe, will die greise Ordensschwester bei ihrem Rombesuch von Jep Gambardella (Toni Servillo) wissen. »Ich wartete auf die große Schönheit«, erwidert er, »aber ich fand sie nicht.« Ein Moralist würde nun einwenden, dass Warten etwas anderes als Suchen ist. Aber die Moral ist nur ein Blickwinkel, aus dem Paolo Sorrentinos neuer Film betrachtet werden will.

Der Zuschauer darf sich ihm unter Vorbehalt anvertrauen, denn Jep ist durchaus empfänglich für sittliche Mahnungen. Nach seinem 65. Geburtstag muss der gefeierte Gesellschaftsreporter einerseits die Bilanz einer Vergeudung ziehen. Sein Leben ist zuleichthin verlaufen, als dass er seine einstigen Ambitionen hätte erfüllen können. Das Gesetz der Zerstreuung, das in Rom gnadenloser gilt als anderswo, stand dagegen. Einem tüchtigen Lebemann wie ihm schien die Stadt alles zu verheißen, was er sich in seiner Provinzjugend an Glamour erträumte. Das Genießen mag ihm noch gegeben sein, das Erleben nicht mehr. Die Leere, die der Verfügbarkeit innewohnt, ist ihm unerträglich geworden, lässt ihn flüchten in die Sehnsucht nach einer verlorenen Ursprünglichkeit. Längst ist das Wohlgefallen, das er am mondänen Schauspiel empfand, teilnahmslos geworden. Es wird nur mehr aufgeführt von Überlebendendes eigenen Glanzes. Jep empfindet große Nachsicht mit deren Vulgarität; insgeheim vielleicht auch Empathie.

Dieser Eingeweihte mit Außenseiterblick ist unabweisbar ein filmischer Nachfahre des Marcello aus Fellinis Das süsse Leben; er ist zur gleichen Ratlosigkeit und Zerrissenheit verdammt. Seine Schwermut ist, schon altersbedingt, lastender geworden. Nur die Gabe zu extrovertierter Selbstbeobachtung hat er dem jungen Klatschreporter voraus. Als robuster, gleichwohl sentimentaler Zyniker flaniert er durch ein Rom, in dem das Heilige und das Profane unmittelbar nebeneinanderliegen. Er bewegt sich im Wendekreis mondäner und grotesker Begegnungen, die vom Zufall diktiert scheinen, aber einer inneren Bestimmung folgen. Immer wieder kreuzen alte Bekannte seinen Weg, die auftauchen wie Geister aus der Vergangenheit. Die Opulenz des römischen Lebens war in Das süsse Leben noch getragen vom Wirtschaftsboom der ausgehenden 50er Jahre. Während Fellini sie einem Dressurakt unterzog, inszeniert Sorrentino sie in Zeiten der Krise als elegische Choreographie.

Die große Schönheit, die Jep als biografische Fehlstelle empfindet, gewinnt in seinem Film allerdings eine unerbittlich berückende Präsenz. Er nimmt die Anmut Roms ernst. Wie eine Neonreklame leuchtet der Filmtitel eingangs über der nächtlichen Stadt auf. Sorrentino ist fasziniert von ihrer Vielgestaltigkeit, lässt es zu, dass sich Luca Bigazzis Kamera verlocken lässt von ihren Oberflächenreizen. Die Urbanität offenbart sich in rauschhafter Zusammenschau. Einmal schneidet er von drei während einer Orgie ausgelegten Kokslinien auf die Kondensstreifen dreier Flugzeuge. Schwer zu sagen, ob seine Schaulust nun demokratisch oder aristokratisch ist. Über das welke Fleisch verlebter Adliger mag er nicht spotten. Es ist ein Schauwert wie andere auch. Dass in Rom Wunder möglich sind, glaubt Sorrentino zwar ebenso wenig wie Fellini. Aber eines Abends macht eine Schar Flamingos auf Jeps Terrasse Rast, bevor sie erhaben weiter in den Süden fliegt.

Der Regisseur, der in Il Divo die Rückseite des Anscheins entlarvend beleuchtete, gesteht der Verführungskraft Roms ihr Recht zu. Unbekümmert ist sein Blick nicht. Das Wasser dient ihm als Leitmotiv, das für die Suche nach Reinheit ebenso steht wie für die Flüchtigkeit der Existenz. Der Schnitt beglaubigt diesen Erzählimpuls der Melancholie, jeder Schauwert verdrängt unweigerlich den vorangegangenen. In Sorrentinos bisherigen Filmen barg die Begegnung seiner Protagonisten mit einer jüngeren Frau eine sachte Hoffnung auf moralische und romantische Erneuerung. Unter den zahlreichen Schönheiten, die durch Jeps Leben streifen, könnte Ramona (Sabrina Ferilli) dieses Versprechen einlösen. Als Sinnbild verlorener Unschuld taugt die wehmütige Stripteasetänzerin nicht – so simpel lässt sich diese in Jeps Dasein nicht mehr einholen, bringt aber für einen Augenblick ein Flair normaler, ursprünglicher Menschlichkeit in die Fauna des Films ein, bevor sie rätselhaft tragisch wieder aus ihm verschwindet. Für einen Moment wird greifbar, welchen Anspruch Regisseur und Hauptfigur an die Schönheit richten: Sie könnte eine Verankerung im Leben sein, für eine Einsicht bürgen. Jep hat weder auf sie gewartet, noch nach ihr gesucht. Gefunden hat er sie dennoch. Aber das, was die Struktur des Films so beglückend schön macht, lässt zugleich das Leben seines Helden unendlich traurig erscheinen: Beide bestehen aus lauter Episoden.

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