Kritik zu Meine letzte Nacht mit einem Vampir
Romain de Saint-Blanquat vermengt in ihrem Coming-of-Age-Film Fantasy- und Horrorfilm-Motive, um von der emotionalen Situation einer 17-Jährigen zu erzählen
Wer es noch mal wissen will, soll bekanntlich leben, als ob es kein Morgen gibt. Ein Motto, das die siebzehnjährige Internatsschülerin Françoise (Léonie Dahan-Lamort) mit jeder Faser verinnerlicht hat, nachdem sie von einem ziemlich heftigen, infernalen Alptraum über ihr eigenes Ableben heimgesucht wurde. Was also machen in der vermeintlich letzten Nacht ihres jungen Lebens? Gemeinsam mit ihrer besten Freundin Daphne (Lilith Grasmug) folgt sie der Einladung zu einer Kostümparty, die ein paar Jungs ihnen durch den Zaun des streng katholischen Mädchengymnasiums gereicht haben.
Romain de Saint-Blanquats Langfilmdebüt »Meine letzte Nacht mit einem Vampir« setzt am Aschermittwoch des Jahres 1967 ein und folgt den beiden Freundinnen durch eine wilde Nacht. Hier wird nicht gefastet, sondern gefeiert, mit dem Ziel, vor dem Tod noch die Jungfräulichkeit zu verlieren. Saint-Blanquats bedient sich bekannter Coming-of-Age-Tropen und vermengt sie zu einer ganz eigenen, genrefilmaffizierten, okkulten Melange.
Die Freundinnen fliehen, nachdem Françoise das Behandlungszimmer im Internat verwüstet hat. In einem Café treffen sie auf einen so sympathischen wie undurchsichtigen Fremden, der für sie in irrer Selbstlosigkeit ein Auto klaut und sie zur Partylocation, einer pittoresken und zugleich morbiden Villa inmitten eines Waldes, fährt. Darin wartet der gelebte Exzess auf die Freundinnen: laute Musik, Joints, Kippen, Alkohol und ein Dancefloor voller berauschter Jugendlicher und junger Erwachsener aller Couleur. Eine Rockergang sorgt für Beef und zieht die Blicke auf sich.
Françoises Blicke allerdings kleben bald an Christophe (Maxime Rohart), einem halbstarken Nosferatu mit schwarzer Kutte, Lockenkopf und der Gesichtsfarbe einer fahlen Wand. Er sei ein Vampir, sagt Christophe und die Schockverliebte merkt an, dass er sehr kalte Hände habe. Saint-Blanquat spielt mit der Frage, ob Christophe nur verkleidet oder vielleicht wirklich ein Blutsauger ist und lässt in seinem Film die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen innerer und äußerer Reise immer weiter verschwimmen: das Erwachsenwerden als schauergotischer Erkenntnistrip.
»Meine letzte Nacht mit einem Vampir« tritt in der Villa einige Momente lang auf der Stelle, auch erreicht der Film nicht die gleiche Dichte wie etwa Julia Ducournaus subversive Genre-Neukonfiguration »Raw«, in dem das Coming-of-Age mit einem kannibalischen Coming-out einherging. Aber mit seinem empathischen Blick auf die Freundinnen und seinem Gefühl für Stimmungen gelingt Saint-Blanquat dennoch ein eindrückliches Debüt.
Die Schatten tanzen vielsagend im Wald und Françoises Kristallpendel, das sie zwischendurch befragt, dreht sich: im Uhrzeigersinn heißt Leben, gegen den Uhrzeigersinn Sterben. Beide Seiten sind nahe beieinander in diesem Film, der trotz eines Hangs zum Dunkeln vor Leben strotzt.
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