Kritik zu Klandestin
Angelina Maccarones neuer Film gewann im letzten Jahr den Filmkunstpreis beim 20. Festival des deutschen Films in Ludwigshafen
Mit einer Detonation beginnt dieser Film, wie mit einem Paukenschlag. Die konservative EU-Politikerin Mathilda (Barbara Sukowa) hört ihn in ihrem luxuriösen Hochhausappartement mit Blick auf die Frankfurter Skyline. Ein Attentat, möglicherweise islamistisch. Das bekommt auch ihr Freund, der schwule britische Maler Richard (Lambert Wilson), mit, der aus Geldgründen, wie anzunehmen ist, in Tanger lebt und sich mit seinem alten Lieferwagen auf den Weg macht nach Frankfurt, wo er in einer Galerie seine Bilder ausstellen will. In dem Auto hat sich der junge Marokkaner Malik (Habib Adda) versteckt – ohne dass Richard es weiß. Einen marokkanischen Hintergrund hat auch Amina El Hazzaz (Banafshe Hourmazdi), Mathildas neue Assistentin, für die der Job eine große Chance bedeutet.
Vier Personen, vier Leben, die für ein paar Stunden und Tage eine gemeinsame Geschichte haben. Angelina Maccarone, die auch das Drehbuch schrieb, erzählt sie – und das ist der große Coup des Films – aus den jeweiligen Perspektiven ihrer Figuren, in einer Narrationstechnik, die man nicht anders als meisterhaft bezeichnen kann. Es sind keine unterschiedlichen Versionen (obwohl der Film die Geschichte in vier nach den Hauptfiguren benannte Episoden zerlegt), aber jede Perspektive fügt der vorhergehenden neue Aspekte hinzu – und seinen Hauptfiguren immer neue Nuancen ihres Charakters, die ihnen eine Vielschichtigkeit geben, die man so auch nicht alle Tage sieht.
Malik, der von einem besseren Leben in Europa träumt (als Rapper, »We made it in / I'm the King Klandestin«, reimt er auf der Fahrt nach Frankfurt), wird von Richard bei Mathilda einquartiert, ein Menetekel. Sicherlich ist Mathilda die zentrale und vielleicht auch interessanteste Figur von »Klandestin«. Mit ihrem guten Freund Richard verbindet sie eine gemeinsame, irgendwie wilde Vergangenheit, und er beklagt die Veränderungen an ihr, die jetzt die Außengrenzen der EU dichtmachen will. Sie, die Karrieristin mit ihrem coolen Appartement, trägt eine abweisende Schroffheit und eine gehörige Portion Zynismus vor sich her, Maccarone gesteht ihr aber auch Momente der Wärme und Menschlichkeit zu. Sie versucht sogar, durch Beziehungen ein Visum für Malik zu bekommen. Aber trotz aller Anflüge von Herzlichkeit: zur Identifikationsfigur und Sympathieträgerin taugt Mathilda mit ihren migrationsfeindlichen Sprechblasen nicht. Eine Paraderolle für Barbara Sukowa, deren Frauenfiguren sonst ja eher auf der fortschrittlichen Seite der Geschichte standen.
Es hat lange gedauert, bis Maccarone den Film realisieren konnte. 2017 schon erhielt sie für das Projekt die Lola für das beste unverfilmte Drehbuch. »Klandestin« ist ein leiser, präziser Film, der dennoch einen regelrechten Sog entwickelt. Weil Maccarone und ihr Kameramann Florian Foest ein großes Gespür für Räume und deren Tiefe haben. Und weil sie ihren Figuren Raum geben, sich zu entwickeln.
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