Kritik zu Mit der Faust in die Welt schlagen

© Across Nations Filmverleih

Constanze Klaues Adaption von Lukas Rietzschels Roman über das Aufwachsen zweier Brüder in der ostdeutschen Provinz feierte in der neuen Berlinale-Sektion »Perspectives« eine vielbeachtete Premiere

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Der Titel des Films klingt nach Wut und Krawall. Das Spannende am Regiedebüt von Constanze Klaue ist jedoch, dass man die im Titel ausgedrückte Emotion jederzeit nachvollziehen kann, der Film aber eigentlich ganz ruhig daherkommt. Die Vorlage stammt von Lukas Rietzschel, der in seinem 2018 erschienenen gleichnamigen Roman vom Heranwachsen zweier Brüder in der ostdeutschen Provinz erzählt, die sich mit der Zeit radikalisieren. 

Klaue geht mit der Vorlage recht frei um. Während der Roman einen weiten Bogen schlägt und die Jugend der Brüder vom Jahr 2006 bis ins Jahr 2015 schildert, verdichtet Klaue die Geschichte auf wenige Episoden. Die Ereignisse von 2015, für viele das Jahr, ab dem die rechten Kräfte immer mehr Zulauf bekamen, kommen bei Klaue lediglich als kurzer Epilog vor.

Der Film beginnt damit, dass Familie Zschornack, zu der Vater Stefan (Christian Näthe), Mutter Sabine (Anja Schneider) und die zwölf- und neunjährigen Brüder Philipp (Anton Franke) und Tobias (Camille Moltzen) gehören, in ihr neues Haus einziehen möchte. Vieles an diesem Haus der Marke Eigenbau ist noch unfertig. Wasserleitungen und Elektrik setzen aus, die Toilette steht zunächst im Garten. Zu allem Überfluss verliert der Vater seinen Job als Elektriker. Die Polen seien halt billiger, ist seine Begründung, aber der Film legt nahe, dass es an ihm selbst liegt. Während Sabine sich als Pflegekraft im Krankenhaus abschuftet, bekommt Stefan eine Absage nach der anderen. Frust beherrscht den Alltag. Sabine beschwert sich, dass nichts funktioniert, Stefan ist wütend, dass immer er an allem schuld sein soll.

Auch für Philipp und Tobias ist der Frust stets spürbar. Oft werden sie alleingelassen; wenn unangenehme Themen besprochen werden, schicken die Eltern sie vor den Fernseher. Philipp ist schließlich der erste der beiden Brüder, der in Kontakt mit einer Gruppe von Neonazis kommt. Die Gründe sind vielfältig: Da ist der Wunsch nach Zugehörigkeit und die Verlockung, zu den starken Jungs der Schule zu zählen, aber auch ein teils spielerisches, teils bitterernstes Provozieren und Austesten von Grenzen. Ein klassisches Coming-of-Age-Verhalten, das sich zuspitzt, weil weder die Eltern noch die Schule die Sorgen der Jungs auffangen. 

»Mit der Faust in die Welt schlagen« wirkt in hohem Maße realistisch. Nicht eine durchgehende, sich zuspitzende Handlung steht im Vordergrund, sondern episodenhafte Alltagsbeobachtung. Das wirkt gegen Ende teilweise etwas unentschlossen, weil viele Konflikte aufgemacht, aber nicht zu Ende erzählt werden. So kann man sich auch darüber streiten, ob der Sprung ins Jahr 2015 überhaupt notwendig gewesen wäre oder, wenn, stärker in den Fokus gehört hätte. Über weite Strecken aber funktioniert der Film als empathische Studie über Menschen in einer strukturschwachen Region, die eben keine altbekannten Nachrichtenbilder reproduziert und so die Erwartungen immer wieder klug unterwandert. Dabei sind es vor allem die vielsagenden Details, die den Film ausmachen: der Bus, der nicht fährt, weswegen ein Mädchen nicht aufs Gymnasium kann, oder der Freund des Vaters, dessen Leben nach der Wende zerbrach und über dessen Stasivergangenheit keiner reden möchte. 

Stets präsent ist die Kluft zwischen dem Wunsch nach idyllischem Familienleben und der bitteren Realität. Gerade am Anfang spürt man die Wärme, die sich alle Beteiligten wünschen, was es umso härter macht, wenn sie später stetig abnimmt. Einen weiteren Kontrast finden Klaue und Kameramann Florian Brückner, wenn sie die Örtlichkeiten in prägnanten Bildern einfangen: blühende Natur mit baufälligen Häusern und Plattenbau mittendrin, malerische Wiesen und dazwischen eine marode Straße. Dieses vollkommen wertfrei eingefangene Miteinander von Verfall und Idylle beschreibt die Ambivalenz Ostdeutschlands vielleicht am besten.

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