Der Frauenfilm: Die neue Härte

»Babygirl« (2024). © Constantin Film

»Babygirl« (2024). © Constantin Film

Mit Filmen wie »The Substance« oder »Babygirl« etabliert sich gerade ein ungewohnt schonungsloser Female Gaze im Kino. Jenni Zylka über furchtlose  Regisseurinnen, Schau­spielerinnen, die an die Grenze gehen, und schön ­schreckliche Frauenbilder

Der Anfang von »Babygirl« gleicht einer Szene aus einem romantischen Liebesroman, Typ Groschenheft: Eine Frau in Seiden-Lingerie verkehrt mit ihrem Ehemann. Sie sitzt oben, stöhnt lieblich und schwingt die blonden Haare, er stöhnt unten, man kommt zusammen, und glücklich, um nicht zu sagen: zufrieden, schläft man ein.

Nur dass die Frau nicht wirklich »zufrieden« ist. Protagonistin Romy, gespielt von Nicole Kidman, schleicht sich nämlich unter dem postorgastischen Schnarchen ihres Mannes (Antonio Banderas) stante pede aus dem Schlafzimmer in ihr Büro, um dort zu Pornobildern von Unterwerfung zu masturbieren. Später lebt die stahlharte, erfolgreiche CEO ihre »andere« Art von Lust mit einem Praktikanten namens Samuel aus. Und wenn sie schließlich mit Samuel (Harris Dickinson) Sex hat, klingt ihr (nun nicht mehr vorgetäuschter) Orgasmus nicht mehr schön, nicht mehr lieblich. Sondern roh. Halina Reijns Film, dem man mit der Beschreibung »Erotikthriller« nicht gerecht wird, denn es geht mitnichten um duftende Rosenblätter im Badewasser oder Dessous-Models, legt eine ungewohnte Gangart ein. ­»Babygirl« ist ein Film über Sex, aber vor allem über echte Befriedigung – egal, wie man sie erreicht.

Reijn will nicht psychologisieren, sondern wirft ihre Heldin mitten rein in erstaunliche Empfindungen und unpraktische, zuweilen unvorteilhafte Vorlieben. Kidmans statueske Vasenschönheit ergibt dabei einen umso stärkeren Kontrast zu der Behandlung, die sie begehrt; ihr glattgebotoxtes Gesicht, das im Film sowohl bei der Nervengiftverarztung selbst gezeigt als auch von ihrer Filmtochter kommentiert wird (»Du siehst aus wie ein Fisch!«), symbolisiert den Mut und die Schonungslosigkeit, mit denen Reijn vorgeht.

So »nackt« im übertragenen Sinne wurde Lust im Female Gaze selten gezeigt. Doch Reijns Film passt zu einer Entwicklung, die auch in anderen Bereichen zu beobachten ist: Regisseurinnen schonen ihre Heldinnen nicht – sondern setzen sie der vollen Härte des Lebens aus. Und damit vor allem dem ewigen Kampf gegen das Patriarchat: In »Promising Young Woman« ließ Regisseurin Emerald Fennell ihre Heldin Cassie, gespielt von Carey Mulligan, schon im Jahr 2020 zum Racheengel für ihre verstorbene Freundin werden – es geht um designierten drunk rape. Dass Cassie sich in Nachtclubs stark betrunken gibt, um potenzielle Täter anzulocken, und diesen dann später zu Hause einen Riesenschrecken einjagt, bekommt mit dem jüngst aufgedeckten drug rape-Netzwerk und dem Pélicot-Prozess eine neue, schreckliche Realitätsebene hinzu. Fennell opfert gar am Ende ihre Heldin – für eine solidarische Gerechtigkeit über den Tod hinaus: Cassie hat alles so eingefädelt, dass der Täter für den Mord an Cassie zur Verantwortung gezogen wird.

»Blink Twice«, das inszenatorische Debüt der vormaligen Schauspielerin Zoë Kravitz aus dem Jahr 2024, ist ein Rape-Revenge-Film und wird ebenfalls von einer unfassbaren Parallelität in der realen Welt begleitet: Eine junge Schwarze Kellnerin wird von einem weißen Millionär auf eine Trauminsel eingeladen. Tagsüber und abends trinkt und feiert man mit schönen Menschen in wehender Kleidung wie in einem Raffaello-Werbeclip, morgens wacht die Protagonistin ohne Erinnerungen an die Nacht auf – und puzzelt langsam, aber sicher die schreckliche Erkenntnis zusammen, dass sie und die anderen jungen Frauen jede Nacht vom Millionär und seinen Freunden missbraucht wird. Eine solche Insel gab es so ähnlich tatsächlich – Kravitz hat ihre Idee nach dem monströsen Fall Epstein gemodelt.

Anders als in von Männern inszenierten früheren Rape-Revenge-Filmen wie Sam Peckinpahs »Wer Gewalt sät« (1971) oder Clint Eastwoods »Sudden Impact« (1983) rächt sich in »Blink Twice« das Opfer selbst – nicht sein Ehemann oder ein Polizist. Und diese direkte Rape-­Revenge ist die einzig wirklich ausführlich dargestellte Aggression: Kravitz hat sich entschlossen, die sexualisierte Gewalt an den Frauen auf kurze Flashbacks zu beschränken. Das Blut, das am Ende in Strömen fließt, stammt dagegen von den Tätern.

Eine solche genderbewusste Klarheit bei der Darstellung von Gewalt gab es selten: Im 1974 entstandenen Blaxploitation-Film »Foxy Brown« von Jack Hill ist es zwar auch Foxy (Pam Grier) höchstpersönlich, die mehrere Männer tötet und den Haupttäter kastriert – zuvor wird jedoch reißerisch und aus Täterperspektive sexualisierte Gewalt für die Leinwand inszeniert. Immerhin zeigte die feministisch-tatkräftige Regisseurin Kathryn Bigelow schon 1990 in ihrem Thriller »Blue Steel« Jamie Lee Curtis als Polizistin Megan Turner, die auf der Jagd nach einem Mörder (und später auch ihrem Vergewaltiger) angstfrei und mit der nötigen Schlagfestigkeit agiert.

Die Entwicklung zur neuen, weiblichen Härte hat Auswirkungen vor und hinter der Kamera – und hängt hoffentlich mit einer gesellschaftlichen Veränderung zusammen. Auf Figurenseite wird – im Fall von sexualisierter Gewalt als Motiv – die Rache öfter selbst ausgeübt und damit das Schicksal eigenhändig beeinflusst; es liegt dabei in der Natur des Verbrechens, dass vor allem Frauen sich an Männern rächen. Und hinter der Kamera, in Drehbuch, Regie und dem Kamerablick, sprechen ebenfalls öfter Frauen für Frauen. 

»Atomic Blonde« (2017). © Universal Pictures

Doch auch jenseits von direkter sexualisierter Gewalt oder Femiziden werden Heldinnen gnadenloser. »Atomic Blonde« von 2017 zeigte Charlize Theron in der Titelrolle als Erst-schlagen-dann-fragen-Spionin, scheiterte jedoch an der Prämisse: Der von Männern geschriebene und inszenierte Film schaffte es nicht, seiner Heldin ein überzeugendes Motiv mitzugeben. Denn natürlich muss das Motiv zum Draufhauen in einer Welt, in der die große Mehrheit der Täter männlich ist und Heldenfiguren wie James Bond eigentlich eine Störung mit Merkmalen der »dunklen Triade« aus Narzissmus, Machiavellismus und subklinischer Psychopathie aufweisen, gut gewählt sein.

Vielleicht machen Regisseurinnen darum öfter Ausflüge ins Genre, wo man übertrieben hart und blutig agieren kann, ohne einen allzu starken Anspruch auf Realität zu stellen: In Coralie Fargeats erfolgreichem, in Cannes mit einer Goldenen Palme für das beste Drehbuch prämiertem Body-Horror-Film »The Substance« aus dem letzten Jahr kämpft eine Frauenfigur mit sich selbst, besser gesagt mit ihrem jüngeren respektive älteren Ich. Demi Moore spielt eine Schauspielerin, die, mit dem gnadenlosen Ageismus und Sexismus ihrer Branche konfrontiert, per Drogenzauber und brutalem Körperschnickschnack eine jüngere Version von sich selbst erschafft, gespielt von Sarah Margaret Qualley. Konzeptuell überzeugt der Film, das Motiv der Protagonistin scheint glaubhaft – vieles von dem, was sich Frauen zwecks Verjüngung antun, wirkt wirklich wie ein Kampf gegen sich selbst und die nicht mehr akzeptable eigene Hülle. Visuell bleibt Fargeat dagegen ein wenig redundant und hat zudem mit Moore eine Darstellerin gewählt, der man die Ü50 nur mit einiger Mühe ansieht. Dennoch erlebt man eine solche Splatter-Lust am Matschen und Knochenknacken, an Blut und Gedärmen sonst nur in Independent-Genrefilmen – Fargeats Werk hat aber den Weg in den Mainstream gefunden und fungiert als ernsthafter und vieldiskutierter Beitrag im Diskurs über die Darstellung von Frauenkörpern.

Auch in dem lesbischen Film noir »Love Lies Bleeding« von 2024 wird ein Frauenkörper verändert und gehärtet, und Regisseurin Rose Glass wählt ebenfalls den Weg über das Fantastische, um mit der dadurch geschaffenen Distanz eine Plausibilität zu umspielen: Heldin – neben Kristen Stewart als verliebter, verbitterter und verzweifelter Fitnessstudio-Managerin – ist Bodybuilderin Jackie (Katy O'Brian), der illegale Steroide sukzessiv die Statur einer »50 foot woman« (aus Nathan Jurans gleichnamigem ­B-Movie von 1958) verleihen, zumindest lassen das ihre halluzinatorischen Nebenwirkungen vermuten. Dass Jackie sich im Laufe der Geschichte zusammen mit den Aufbauhormonen auch die männliche Aggressivität und Gewaltbereitschaft in die Muskelmasse spritzt, während sie zwischen einem Job am Schießstand (sic) und der Muckibude hin- und herfährt, ist ein feiner, gut ausgedachter und sehr feministischer Unterton in Glass' liebevoller Trash-Hommage: Einfach nur das nachzumachen, was Männer tun, kann und darf kein Happy End ergeben.

Traditionell männlich zugewiesene Fetische charakterisierten auch in Julia Ducournaus Body-Horror-Film »Titane« die – nicht nur im übertragenen Sinne – harte Heldin: Alexia (gespielt von der nichtbinären Agathe Rousselle) hat eine Titanplatte im Kopf – und ein überaus lustvolles Verhältnis zu Metallen in allen Legierungen. In High Heels und Hotpants räkelt sie sich bei Automessen auf Kühlerhauben, reibt sich an Hot Rods und wird gar von einem hübschen Cadillac schwanger, der herausfordernd die Scheinwerfer vor ihrer Dusche aufblendet. Zudem bringt sie Menschen um – und muss sich darum bei einem (wirklich ziemlich) männlich gelesenen Menschen (Vincent Lindon) verstecken. Neben dem immanenten und faszinierenden Gender-Bender-Diskurs ist Ducournau in ihren Bildern hart, rabiat und provokant – und lässt dem begeisterten Publikum (der Film gewann 2021 in Cannes die Goldene Palme) dennoch die Chance, sich durch die klare Ansiedelung in einer fantastischen Welt von allzu viel Nippelpiercing-Abreiß- und Autobastard-Geburtsszenen zu distanzieren.

Geburten, Schwangerschaft, überhaupt das Muttersein tun sich ansonsten als Themen etwas schwer im Universum der harten Hündinnen: So fantastisch-andersartig, wie sie sein müsste, ist die Welt in Marielle Hellers filmischer Adaption eines Rachel-­Yoder-Romans, der Softhorror-Mutterschaftskomödie »Nightbitch«, nämlich leider nicht. Nachdem Hellers Protagonistin »Mother« (Amy Adams) sich eine Weile lang als aufopfernde, von geistlosen Mama-Freundinnen und einem verständnislosen Mann umgebene Ex-Intellektuelle mit dem Verziehen ihres kleinen Sohnes herumgeärgert hat, beginnt sie langsam, sich in eine Hündin zu verwandeln. Das könnte wunderbar und – je nach Grotesken- oder Horroranteil – kafkaesk oder schön schaurig anzusehen sein. Doch Hellers Erzählung mit einer immerhin verlässlich zupackenden Adams bleibt auf dem Niveau eines Hausfrauen-Verandatreppenwitzes und traut sich nicht über die Prämisse im Kopf hinaus. Denn »Mother« wird nicht wirklich zur (Wer-)Hündin, sondern stellt sich das alles nur – zugegeben ziemlich lebhaft – vor. 

Wahrscheinlich hat sie einfach zu wenige Genrevorbilder: Die spärlichen filmischen Werwölfinnen – von einer leider nicht wirklich wolfsähnlichen, aber mörderischen älteren Dame im Film »She-Wolf of London« von 1946(!) über Bel Powley als Werwolf-Pubertistin in Fritz Böhms hochgradig atmosphärischem »Wildling« von 2018 bis hin zur feministischen Rachewölfin im Horrorfilm »I am Lisa« von 2020 – wurden allesamt von Männern inszeniert. Als Showrunner einer Serie um die einzige weibliche Werwölfin eines Rudels fungierte 2014 für »Bitten« immerhin die Fantasy-Expertin Daegan Fryklind; ihre Protagonistin, die als Frau wie als Lupus meist frisch geföhnte Elena (Laura Vandervoort) lässt sich dennoch nicht wirklich zu den harten Heldinnen zählen – obwohl sie als echtes Raubtier schon mal zubeißt, wenn es sein muss.

Es ist, wie es viele Regisseurinnen in ihren Werken andeuten: Die zu Recht verdammte angeblich männliche »Härte« einfach zu imitieren, bringt weder die Filme noch die Genderdebatte einen Schritt weiter. Stattdessen geben Filmemacherinnen ihren Heldinnen die nötige Schroffheit, aber auch die nötige Empathie mit, damit ein gesamtgesellschaftliches Publikum ihnen folgen möchte, und schreiben ihnen entweder glaubhafte Motive in die Charaktere (Rache und Gerechtigkeit, der Schutz anderer) oder kombinieren sie mit Fantasy-Parallelrealitäten, die ihr Verhalten anders beleuchten. Nicht die Heldin sollte demnach unbarmherziger, sondern der Held ein bisschen mehr so werden wie sie. Das ist allemal hart genug.

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