Interview: Marielle Heller über »Nightbitch«
Marielle Heller
epd Film: Ms. Heller, vermutlich wären Sie an einer Geschichte wie »Nightbitch« immer interessiert gewesen. Aber machte die Tatsache, dass Sie gerade zum zweiten Mal Mutter geworden waren, die Sache noch reizvoller?
Marielle Heller: Unter anderen Umständen wäre ich gar nicht auf eine solche Geschichte angesprungen! Leider muss ich zugeben, dass ich nicht frei war von den Vorurteilen, die in unserer Gesellschaft fest verankert sind. Mutterschaft als Thema für einen Film? Will das jemand sehen? Aber dann kam ich gerade aus dem Wochenbett, noch dazu befanden wir uns in einer Pandemie, und auf einmal fühlte ich mich sehr isoliert. Wahrscheinlich sprach mich Rachel Yoders wunderbarer Roman deswegen noch viel mehr an. Er war so herrlich witzig, smart und böse.
Würden Sie also sagen, dass jemand, der keine Erfahrungen mit Mutterschaft hat, diesen Film nicht hätte inszenieren können?
Diese Frage ist verdammt schwierig zu beantworten. Eigentlich halte ich rein gar nichts von der Idee, man könne oder dürfe nur Geschichten erzählen, die den eigenen Erfahrungen entsprechen. Die Aussicht, mein Leben lang nur noch Filme über weiße heterosexuelle Frauen drehen zu dürfen, würde mich jedenfalls sehr ernüchtern. Aber gleichzeitig waren es in diesem Fall meine persönlichen Erfahrungen, dank derer ich das Gefühl hatte, genau zu wissen, worum es geht. Mehr als je zuvor habe ich wirklich mein ganzes Privatleben und meine Persönlichkeit in diesen Film einfließen lassen.
Sie beschrieben »Nightbitch« kürzlich als einen Film, der für Frauen eine Komödie und für Männer ein Horrorfilm ist. Was witzig klingt, aber letztlich bitter ist ...
Mein kleiner Scherz entstand während der Arbeit am Drehbuch, denn wann immer ich es Freundinnen zum Lesen gab, amüsierten die sich köstlich, eben weil sie genau wussten, wie echt und ehrlich sich das alles las. Von Männern, meinem eigenen eingeschlossen, kam dagegen meistens das Feedback, dass sich beim Lesen ein gewisses Unbehagen einstellt. Da ahnte ich relativ früh, dass die Reaktionen heterosexueller Männer und Frauen auf den Film unterschiedlich ausfallen würden.
Ist Ihr Ziel letztlich, diese Diskrepanz mit dem Film vielleicht etwas zu überbrücken?
Sagen wir es mal so: für manche Männer hat »Nightbitch« sogar etwas Voyeuristisches. Weil sie Einblick bekommen in Dinge, die ihnen bislang womöglich verborgen waren. Aber wie alle guten Filme vermittelt er hoffentlich einen Eindruck davon, wie es sich anfühlt, diese Frau zu sein, die wir hier sehen. Meine Hoffnung ist, dass das in diesem Fall auch Männern möglich ist – und sie etwas lernen über Dinge wie das Gebären von Kindern, die Perimenopause oder Ähnliches. Ich habe mich schließlich auch mein Leben lang mit männlichen Protagonisten identifiziert. Die Kluft zwischen den Geschlechtern ist dieser Tage jedenfalls so riesig und die Konversationen über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede so wenig nuanciert, dass ich denke, wir können jedes bisschen Empathie gebrauchen, die wir finden können.
Zu den kontroversesten Szenen in »Nightbitch« gehört, so sagten Sie kürzlich, ausgerechnet eine vermeintlich ganz harmlose: Ein Mann entschuldigt sich bei seiner Frau aufrichtig für Dinge, die er falsch gemacht hat ...
Fallen Ihnen viele Filme ein, in denen Männer ehrliche Entschuldigungen aussprechen und Verantwortung für ihr Handeln übernehmen? Als jemand, der mit einem Mann verheiratet ist und einen kleinen Mann großzieht, realisiere ich mehr und mehr, wie wenig Männern dieses Verhalten in unserer Gesellschaft beigebracht wird. Mädchen lernen schon von klein auf, sich ständig zu entschuldigen, nicht selten für ihre bloße Existenz. Jungs wird dagegen ständig gesagt: kein Problem, kein Grund, sich zu entschuldigen.
Und das schlägt sich in den Reaktionen auf Ihren Film nieder?
Oh ja. Schon in »Der wunderbare Mr. Rogers« gab es eine Szene, in der sich Matthew Rhys bei seiner Frau entschuldigt – und in Testscreenings gab es darauf ständig negative Reaktionen. Jetzt bei »Nightbitch« hieß es selbst von Studioseite manchmal: Schön, dass das Paar sich am Ende berappelt, aber wir müssen nicht auch noch hören, dass ihm sein Verhalten leidtut. Das wissen wir auch so. Verrückt, oder? Wahrscheinlich kein Wunder, dass wir jetzt wieder einen Mann zum Präsidenten gewählt haben, der sich vermutlich in seinem ganzen Leben noch nie für etwas entschuldigt hat.
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