Kritik zu Babygirl
Nicole Kidman spielt im dritten Film der niederländischen Autorin und Regisseurin Halina Reijn eine reiche Unternehmerin, die sich nach Unterwerfung sehnt. Klischee-Szenario? Weit entfernt
Ist diese Frau nicht einfach perfekt? CEO eines von ihr gegründeten Robotik-Unternehmens, das gerade an die Börse geht, verheiratet mit einem Theaterregisseur, Mutter zweier hübscher Töchter, eine Figur wie eine Reitgerte. Die Accessoires, mit denen sie sich umgibt, schreien »Luxus«: delikate Designerkleider, edle Möbel, gleich zwei Christbäume – im Apartment, im Landhaus –, von unsichtbaren Bediensteten üppig geschmückt. Romy repräsentiert genau das, was uns der neoliberale Postfeminismus der neunziger und nuller Jahre als erstrebenswert und erreichbar präsentiert hat: Glück im Consumer-Modus, Karriere im System.
Was sich nicht ins System fügt, ist das Begehren: Romy, von Nicole Kidman im vollen Vertrauen auf ihre Regisseurin gespielt, wünscht sich, dass ihr jemand sagt, wo es langgeht. Mit ihrem Mann (Antonio Banderas) kommt sie nicht zum Orgasmus; nach dem geschwisterlichen Akt im Ehebett befriedigt sie sich routiniert über einem Web-Porno, in dem eine sehr junge Frau auf einen »Daddy« abfährt. Das Mädchen, das Romy selbst manchmal mühsam hinter der Business-Fassade verbirgt, wird von einem neuen, auf lässige Art selbstbewussten Praktikanten (Harris Dickinson) getriggert. Es funkt, als Samuel auf der Straße einen frei laufenden Hund mit einem Keks bändigt, und fortan umkreisen die beiden einander. Eine Affäre mit vielen, auch unerotischen Risiken: MeToo-Compliance ist die Säule von Romys Firmenimage, Sex mit Abhängigen passt selbst dann nicht ins Bild, wenn der Angestellte die Hand an der Peitsche hat.
Peitschen kommen aber gar nicht zum Einsatz. Das unterscheidet den dritten Spielfilm der niederländischen Schauspielerin Halina Reijn von den Markenträgern des Subgenres Erotikdrama, von »9 1/2 Wochen« oder »Fifty Shades of Grey«. Das Milieu, die »Warenästhetik« in »Babygirl« erinnern durchaus an die Vorgänger. Aber die Umkehrung der sozialen Rollen bringt das Szenario zum Schillern. Und wie in ihrem ersten Spielfilm »Instinct«, in dem sich Carice van Houten als Gefängnispsychologin mit einem zertifizierten Sexualstraftäter einlässt, entwickelt die Regisseurin und Autorin Reijn ein interessantes Verfahren, flottierendes, uneingestandenes, unerklärtes, man möchte sagen: nebelhaftes Verlangen zu inszenieren. In beiden Filmen sind die Kameras geradezu hypnotisiert von den nicht mehr jungen Gesichtern der Protagonistinnen – aber weder Close-ups noch Dialoge verraten wirklich, was diese Frauen denken. Falls sie es denn selbst wissen.
Dass Frauen wilde Sexfantasien haben, auch brutale, die sie niemals ausgelebt sehen wollten, ist kein Geheimnis mehr. Reijn pathologisiert denn auch an keiner Stelle die vergleichsweise milde Sehnsucht ihrer Protagonistin nach Unterwerfung, nach »Dressur«. Womit wir es hier zu tun haben, ist vielmehr das, was Fan-Autorinnen unter dem Stichwort under-negotiated kink als Warnung ausgeben: eine sexuelle Neigung, deren Ausübung der Absprachen und expliziten Konsensualität bedarf. Romy fängt gerade erst an, ihre Möglichkeiten auszuloten – und der Film legt nahe, dass auch Samuel in der Sparte Disziplin, Dominanz, Unterwerfung wenig Erfahrung hat. Die beiden folgen der Eingebung des Augenblicks. Mal ist es der Hund, der ins Bild läuft, mal nötigt er sie, in einer Bar ein Glas Milch zu trinken, mal ist es das Wort babygirl; die Reise geht durch Sitzungsräume, muffige Hotelzimmer, Pool und Club. Erwartungsgemäß führt das alles zu Irritationen und Verletzungen, erst recht, als die Beziehung auffliegt und weitere Beteiligte ins Spiel kommen: Romys Mann und ihre Assistentin, die ausgerechnet für Gendergerechtigkeit zuständig ist.
Doch am Ende findet Reijns Drehbuch eine sehr kluge Auflösung für das »Drama«. Eine, die sehr schön auch die noch in »Fifty Shades« propagierte Vorstellung aushebelt, romantische Liebe und heißer Sex, die Fantasie und das Leben müssten unbedingt zur Deckung gebracht werden. Wenn Postfeminismus – dann so.
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