Kritik zu Soundtrack to a Coup d'Etat

© Grandfilm

2024
Original-Titel: 
Soundtrack to a Coup d'Etat
Filmstart in Deutschland: 
06.02.2025
L: 
150 Min
FSK: 
16

Der belgische Regisseur Johan Grimonprez schildert in seinem eindrücklichen Dokumentarfilm über den Mord an Patrice Lumumba, wie im Kalten Krieg der Kampf der Systeme auch zu einem Kulturkampf wurde

Bewertung: 5
Leserbewertung
0
Noch keine Bewertungen vorhanden

Im Jahr 1956 hat der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser den Suezkanal für verstaatlicht erklärt, ein wichtiger Schritt für die Bewegungen zur Unabhängigkeit afrikanischer Staaten gegen ihre Kolonialmächte. Denen ging es, das macht dieser Film immer wieder deutlich, um die Ausbeutung von Rohstoffen und Bodenschätzen. Der Kongo gehörte zu Belgien, ja, er war sogar persönliches Eigentum des belgischen Königshauses, nicht umsonst hieß seine Hauptstadt Leopoldville (heute Kinshasa), benannt nach dem belgischen König Leopold II. Und im Kongo förderte die belgische Firma Union Minière nicht nur Kupfer, sondern auch edle Metalle wie Kobalt und Uranium. 

Was man für den Bau der Atombombe braucht, des Symbols des Schreckens und der Abschreckung des Kalten Krieges. »Soundtrack to a Coup d'Etat« führt in schnellem Tempo in jene fiebrigen Jahre der Attentate und Staatsstreiche, die bestimmt waren von der Angst der Kolonial- und Supermächte, ihren Einfluss zu verlieren, und zu den Freiheitskämpfen auf dem amerikanischen Kontinent. Die natürlich auch Angst erzeugten. Denn wie Malcolm X in dem Film sagt: Je mehr Staaten unabhängig werden, desto mehr steigt ihre Macht in den UN. Ganz zu schweigen von der Vision eines Vereinten Afrika, der Vision der Vereinigten Staaten von Afrika. 

Die Musik jener Jahre war der Jazz, und die Auftritte von Legenden wie Dizzy Gillespie, Abbey Lincoln und Max Roach, Archie Shepp und Nina Simone orchestrieren den Film. Das war der »Cool War«, wie es einmal heißt. Die USA und die CIA haben ganz gezielt die schwarzen Jazzgrößen in Länder geschickt, in denen es brodelte und in denen sie versuchten, die Sympathien der Menschen zu gewinnen. Im Oktober 1960 spielte Louis Armstrong in Leopoldville, im Rahmen einer vom US-Außenministerium organisierten Tournee. Vier Monate zuvor, am 30. Juni, hatte der Kongo seine Unabhängigkeit erlangt, und Patrice Lumumba wurde Ministerpräsident des Landes. Was er aber nicht lange blieb: Schon im September putschte das Militär gegen ihn, mit Billigung der USA, im Januar 1961 wurde er erschossen. Lumumba, für dessen Tragödie die USA und Belgien verantwortlich waren, ist so etwas wie der Angelpunkt des Films. 

Soundtrack für einen Staatsstreich: Die Musiker verstanden sich aber nicht als Handlanger der CIA, sondern setzten sich auch, darauf weist der Film immer wieder hin, für die Bürgerrechte im eigenen Land ein. 1961 führte die Sängerin Abbey Lincoln die Proteste bei den UN (die im Kongo eine schlechte Figur machen) gegen die Ermordung Lumumbas an. Und Louis Armstrong wollte nie als Botschafter der USA im Kalten Krieg instrumentalisiert werden und in die Sowjetunion reisen. Nikita Chruschtschow, der Generalsekretär der KPdSU, konnte, das geht aus einem Audiodokument im Film hervor, dem Jazz sowieso nichts abgewinnen . . .

»Soundtrack to a Coup d'Etat« besteht so gut wie ganz aus Archivmaterial, nur In Koli Jean Bofane liest aus seinem Buch über die Pläne der Weltmächte, die Uranvorräte zu kontrollieren. Es ist aber kein linearer Dokumentarfilm geworden, sondern Grimonprez hat ihn assoziativ angelegt, als Collage und beeindruckenden Geschichtsessay aus Bruchstücken, die sich zu einem heterogenen Ganzen fügen. Die Musik gibt dem Film den Rhythmus vor, aber eher im Sinne des Free Jazz von John Coltrane (der im auch auftritt), mit Abschweifungen und Improvisationen und doch so, dass die einzelnen Linien immer wieder zusammenfinden. 

Grimonprez arbeitet nicht nur mit filmischem Archivmaterial, er zitiert auch, in Form von Texttafeln etwa aus dem Buch »Mein Land, Afrika« von Andrée Blouin, die Lumumbas Protokollchefin und Redenschreiberin war und sich besonders für Frauenrechte einsetzte. Und er zeigt mit – kurzer – Werbung von Tesla und Apple, wie groß heute noch der Hunger auf edle Metalle ist. Die Zwischentitel und Zitate sind plakativ gehalten, vielleicht eine Referenz an die Pop Art, auf alle Fälle springen sie einen förmlich an. Es gibt auch viel zu lesen in diesem Film, der zweieinhalb Stunden dauert. Doch »Soundtrack to a Coup d'Etat« entwickelt einen Sog, der einen unweigerlich hineinzieht und danach auch nicht mehr loslässt.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt