Kritik zu Sing Sing

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2023
Original-Titel: 
Sing Sing
Filmstart in Deutschland: 
27.02.2025
L: 
107 Min
FSK: 
12

Colman Domingo verkörpert in Greg Kwedars Spielfilm den – selbst zu 24 Jahren Haft verurteilten – Autor eines Programms, das Gefangenen durch die Kraft von Kunst und Theater bei der Rehabilitation hilft

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»Sing Sing«, der neue Film von Greg Kwedar, spielt im titelgebenden Hochsicherheitsgefängnis unweit von New York und handelt von Flucht – allerdings nicht im konventionellen Sinne eines spektakulären Ausbruchs, sondern im Sinne einer spirituellen Befreiung. Der Film schildert die Arbeit des real existierenden Projekts »Rehabilitation Through the Arts«, mit dem Häftlingen durch die Teilnahme an einem Theaterprogramm die spätere Wiedereingliederung in die Gesellschaft erleichtert werden soll. Doch sehr schnell merkt man, dass die Proben und Auftritte für die Teilnehmer nicht zuletzt ein Entkommen aus dem Gefängnisalltag bedeuten.

Der großartige, aus unerfindlichen Gründen erst jetzt zum Star avancierte Colman Domingo verkörpert den realen Initiator des Programms, John »Divine G« Whitfield, der 24 Jahre wegen Mordes in »Sing Sing« einsaß und bis beute seine Unschuld beteuert. Doch der Film rekonstruiert nicht die Entstehung des Programms, sondern bringt uns mitten hinein in die Vorbereitungen zu einem neuen Stück. Hartgesottene Kerle sitzen da zusammen und diskutieren, ob sie lieber Shakespeare oder eine leichte Komödie angehen wollen. Das wirkt weder pathetisch noch albern, sondern bewegend.

Man kommt den Figuren in jeder Hinsicht nahe, die filmische Umsetzung, insbesondere die rauen 16-mm-Handkamerabilder von Pat Scola (Pig), gibt dem Film eine beinahe dokumentarisch anmutende Unmittelbarkeit. Und dass die Teilnehmer fast alle von realen Ex-Häftlingen verkörpert werden und filmische Versionen ihrer selbst darstellen, verleiht den Geschehnissen eine besondere Intensität – und lässt einen immer wieder über die Schauspielleistungen staunen, die denen der Profis in nichts nachstehen. Insbesondere Clarence »Divine Eye« Maclin liefert als zunächst knochenharter Knacki eine bewegende Charakterstudie, die bis zu einem gewissen Grad auch eine Selbstreflexion sein dürfte; zu Recht wurde er mit mehreren Kritikerpreisen ausgezeichnet.

»Sing Sing« zeigt Männer, die es gewohnt sind, sich über Stärke und Dominanz zu behaupten, die sich im Verlauf des Projekts jedoch immer mehr öffnen und über ihre Rollen auch sich selbst hinterfragen. »Zorn ist einfach«, heißt es bei einer Probe, »aber Verletzlichkeit muss man zulassen.« Es ist klar, dass dies für die Bühne und das Leben gleichermaßen gilt. Der Kontrast von Rauheit und Feingeistigkeit lässt einen auch als Zuschauer stereotype Verbrecherbilder infrage stellen, und der Enthusiasmus der Männer, ihre verblüffende Bereitschaft, sich auf neuem Terrain zu erproben, entwickelt einen berührenden Charme, dem man sich kaum entziehen kann.

Kurze Szenen des Gefängnisalltags zwischen Hofgang und Bewährungsanhörung erinnern zwischendurch an den ernsten Hintergrund, aus dem das spielerische Projekt erwuchs. Die kriminellen Taten der Teilnehmer werden jedoch weitgehend ausgespart, ein kluger Zug, denn es geht in »Sing Sing« nicht um Buße oder Läuterung, sondern um die Kraft des Theaters und die introspektive Wirkung der Schauspielerei.

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