DVD-Tipp: Frank Beyers DEFA-Spielfilme 1957-1991
»Bockshorn« (1984)
Sein Film »Spur der Steine« dürfte zu den bekanntesten Filmen der DEFA zählen, lange nur als kurz nach der Premiere verbotenes Werk (nicht einmal für interne Sichtungen freigegeben), bis er dann, mit weiteren Verbotsfilmen des DEFA-Jahrgangs 1966, bei der Berlinale 1990 eine glanzvolle Wiederauferstehung feierte und anschließend sogar ein gesamtdeutscher Kinoerfolg wurde.
Manfred Krug als Brigadier, der mit seinem Trupp auf einer Großbaustelle der DDR eigenwillig-anarchistisch vorgeht, war ein Ereignis, der Film ist es auch 35 Jahre später noch. Das gilt auch für die anderen Klassiker, die der Regisseur Frank Beyer (1932-2006) zum DEFA-Film beigesteuert hat, die beiden im KZ spielenden Filme »Nackt unter Wölfen« und »Jakob der Lügner«. Waren die schon länger als DVD verfügbar, so liegt mit der jetzt erschienenen Box Beyers Kinogesamtwerk vor. Daneben drehte er zwei Fernsehmehrteiler und elf Fernsehfilme, hatte immer wieder mit Niederlagen zu kämpfen: Erst acht Jahre nach Spur der Steine durfte er seinen nächsten Kinofilm drehen. 1998 entzog ihm der Produzent kurz vor Drehbeginn die Regie der von ihm lange vorbereiteten Verfilmung von Uwe Johnsons »Jahrestage«. Einen weiteren Film konnte/mochte er danach nicht mehr drehen.
Ich stelle mir Beyer als einen stillen Helden vor, so wie die Protagonisten der beiden KZ-Filme und von »Der Aufenthalt«, mit dem Witz, mit dem Erwin Geschonneck in der Komödie »Karbid und Sauerampfer« seine Mission erfüllt, mit dem Durchhaltewillen und Stoizismus der Spanienkämpfer in »Fünf Patronenhülsen« – drei Filme, die sehr gut gealtert sind wie auch die Ehekomödie Das Versteck mit Manfred Krug und Jutta Hoffmann.
Eine Wiederentdeckung wert ist »Der Verdacht« über Anpassungsdruck in der DDR, den Beyer schon 1975 nach Erstveröffentlichung der literarischen Vorlage Volker Brauns machen wollte, den 1991 aber kaum jemand sehen wollte. Auch die Frühwerke »Zwei Mütter« und »Eine alte Liebe« zeichnen sich bei allem Schematismus durch die Komplexität zumindest einiger Figuren aus, während der verschachtelt erzählte »Königskinder« nicht zuletzt durch seinen ausgefeilten visuellen Stil überzeugt. Mich erinnerte er an Andrei Tarkowskis Debüt »Iwans Kindheit«. In seinen 2001 erschienenen Lebenserinnerungen benennt Beyer andere Werke der sowjetischen »Tauwetterperiode«. Nicht warm geworden bin ich auch beim zweiten Sehen mit »Bockshorn«, 1988 nach dem Roman von Christoph Meckel gedreht, in dem DDR-Schauspieler im amerikanischen Ambiente agieren – ein missratenes Märchen, während in Der Bruch die Lakonie der Dialoge von Wolfgang Kohlhaase oft zu gewollt wirkt.
Alle Filme liegen digital restauriert vor. An Bonusmaterial enthält die Edition zu sieben Filmen die originalen Kinotrailer, zu anderen acht thematisch passende Kurz- und Animationsfilme der DEFA (so zu »Der Verdacht« über einen Jugendwerkhof, zu Bockshorn über eine selbstorganisierte Tanzveranstaltung, aber auch zwei Beiträge Beyers zur satirischen Reihe »Das Stacheltier«), eine Doku zu dem ZK-Plenum, das 1966 den Verbotsfilmen vorausging, und schließlich Zeitzeugengespräche. Die variieren stark in Länge und Qualität: Manche sind kürzere Ausschnitte, die sich nur auf den jeweiligen Film beziehen (so Wolfgang Kohlhaase zu »Der Aufenthalt«), andere längere, in denen die Befragten ihre Berufskarriere Revue passieren lassen. Einige sind, trotz bekannter Filmhistoriker als Fragesteller, eher enttäuschend, weil sie ziemlich allgemein bleiben und sich in mehreren Fällen gar nicht zum betreffenden Film äußern.
Das 18-seitige Booklet enthält neben einer Filmografie Würdigungen von Wolfgang Kohlhaase (2006) und Ralf Schenk (2022) sowie einen offenen Brief, den Beyer 1977 an den Generaldirektor des DEFA-Studios für Spielfilme schrieb – leider nichts zu den einzelnen Filmen (die Innenseiten der Cover verfügen immerhin über eine Inhaltsangabe, Plakatmotiv und die Mitwirkenden). Trotzdem ist dies eine wichtige Edition. Beim letzten Cinegraph-Kongress wurde sie als beste filmhistorische DVD-Edition des Jahres ausgezeichnet.
Frank Beyer: Alle DEFA-Spielfilme 1957–1991. 13 DVDs, Anbieter: Filmjuwelen.
VÖ: 20. Juni 2024
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