Kritik zu The Village Next to Paradise

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In seinem Spielfilmdebüt erzählt der somalisch-österreichische Regisseur Mo ­Harawe vom Alltag einer Patchworkfamilie in Somalia, das hierzulande vorwiegend mit Bürgerkrieg und Piraterie assoziiert wird

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Ein für Selbstmordattentate verantwortlicher Al-Shabaab-Kommandeur sei mit einer amerikanischen Rakete in seinem Fahrzeug getötet worden, berichtet zu Beginn eine Nachrichtensprecherin der britischen TV-Station Channel 4. Mit dieser dokumentarischen Sequenz scheint Mo Harawe (Buch und Regie) an Produktionen anzuschließen, denen Somalia als Schauplatz actionbetonten Kinos diente. Im Jahr 2001 etwa rekonstruierte Ridley Scott mit »Black Hawk Down« das Fiasko, das die US-Army in der Hauptstadt Mogadischu bei einer gescheiterten Militäroperation erlebte. Das Problem der Piraterie im Golf von Aden macht der Film »Captain Phillips« (Paul Greengrass, 2013) zum Thema. In der cineastischen Wahrnehmung dominiert eine westliche Perspektive.

Mo Harawe setzt dem eine Binnen­perspektive entgegen. Für ihn ist Somalia nicht in erster Linie der von Bürgerkriegen zerrüttete failed state am Horn von Afrika. Die politische Realität spielt eher beiläufig in die Geschichte hinein, etwa wenn deutlich wird, wie stark die Clan-Strukturen quasistaatliche Funktionen übernehmen und den Handlungsspielraum der Menschen bestimmen. Harawe richtet das Augenmerk darauf, wie diese versuchen, ihr Leben unter schwierigen Bedingungen zu organisieren. Den Titel seines Films will er als Metapher für die Lage in Somalia verstanden wissen: »Es gäbe das Potenzial für ein Paradies, aber aus vielen Gründen wird es nicht erreicht.«

Von einem Paradies allerdings ist der staubige Wüstenstrich, in dem der verwitwete Mamargade (Ahmed Ali Farah), der Protagonist des Films, Gräber aushebt, weit entfernt. Das Bestattungswesen gerät zunehmend in die Hände professioneller Unternehmen, die aus den zahlreichen Drohnen- und Attentatsopfern ein Geschäftsmodell entwickelt und damit Mamargade brotlos gemacht haben. Um das karge Leben zu fristen und dem begabten Sohn Cigaal (Ahmed Mohamud Saleban) den Aufenthalt in einem städtischen Internat zu finanzieren, lässt sich Mamargade auf allerlei illegale Machenschaften ein, die ihn schließlich immer mehr von seinem Kind entfremden. Seine geschiedene Schwester Araweelo (Anab Ahmed Ibrahim), die mit im Haushalt lebt, bemüht sich unterdessen, eine kleine Schneiderei zu gründen. Dafür hat die energische junge Frau zuvor einige Hürden zu überwinden.

Der mühsame Alltag Mamargades, die oft vergeblichen Versuche Araweelos und des selbstbewussten kleinen Cigaal, dem Leben eine Perspektive abzugewinnen, bestimmen den verhaltenen Erzählrhythmus von »The Village Next to Paradise«. Vor Ort in Somalia fängt die oft unbewegte Kamera (Mostafa El Kashef) Bilder von diesem Alltagsleben ein, farblich sorgfältig komponierte Tableaux, oder zeigt Close-ups von den Gesichtern der Charaktere, allesamt Laien. Harawe gelingt es dabei, seinen Film authentisch, bisweilen dokumentarisch wirken zu lassen und die Lebenssituation der Menschen nicht pittoresk zu überzeichnen. Von großer visueller Kraft, verlangt der Film seinem Publikum einiges ab.

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