Kritik zu Der Brutalist

© Universal Pictures

Die dritte Regiearbeit von Brady Corbet mutet wie das filmische Äquivalent des »Großen ­amerikanischen Romans« an: ein dreieinhalbstündiges Einwanderer-Epos von visueller Wucht, das von hochfliegenden Träumen und Verzweiflung erzählt

Bewertung: 4
Leserbewertung
0
Noch keine Bewertungen vorhanden

Die Umarmungen sind zu Beginn dieses Films von einer Innigkeit, die im Kino ihresgleichen sucht. Es sind heftige Gesten, die einen Hunger nach Zusammenhalt besiegeln. Aus ihnen spricht die ungestüme Freude, endlich angekommen zu sein.

Eingangs bahnt sich László Tóth (Adrien Brody) seinen Weg durch den Tumult, der unter Deck im Einwandererschiff herrscht. Im Tageslicht angekommen, herzt er einen fremden Schicksalsgenossen, mit dem er gemeinsam den Anblick der Freiheitsstatue feiert. Bald darauf umarmt er seinen Cousin, der ihm eine Heimstatt in der Neuen Welt versprochen hat. In der Gebärde bäumt sich jäh die Euphorie eines Menschen auf, der den Glauben an das Glück verloren hat.

Vor dem Weltkrieg war László ein gefeierter Architekt in Budapest, den Holocaust hat der Jude mit versehrter Seele überlebt. Seine Frau Erzsébet (Felicity Jones) musste er in Ungarn zurücklassen. Der Cousin kann ihm nun versichern, dass sie überlebt hat. Er selbst hat sich bereits erfolgreich assimiliert und eine Katholikin geheiratet, mit der er ein Einrichtungshaus in Pennsylvania führt. Die Gattin begegnet dem Neuankömmling mit Argwohn.

In diesem gediegenen Leben ist kein Platz für einen Visionär, der am Bauhaus studierte – seine erste Arbeit in den USA ist ein Freischwinger im Stil Marcel Breuers. Der erste große Auftrag, der Umbau der Bibliothek des Industriebarons Harrison Lee Van Buren (Guy Pearce), könnte sein Durchbruch werden. In Windeseile gelingt László ein Meisterstück von majestätischer Eleganz, das den Auftraggeber jedoch in Wut ausbrechen lässt. Nach diesem Fiasko schlägt sich der obdachlose Architekt als Tagelöhner durch. Unversehens tritt Van Buren wieder in sein Leben. Seine Bibliothek ist unterdessen zu einer Attraktion geworden, die es zu einer Fotogeschichte in »Look« brachte. Das untrügliche Gespür des Kapitalisten sagt ihm, dass Lászlo für ihn ein Monument bauen kann, das ihm selbst Ruhm einbringen wird. 

Pearce spielt ihn als beredten Barbaren, der sich kultiviert gibt und zu Selbstironie fähig scheint. Vielleicht ist er die eigentliche Titelfigur des Films. László soll für ihn ein Gemeindezentrum entwerfen, welches die Hügellandschaft Pennsylvanias machtvoll überragt – im Stil des Brutalismus, ganz aus Beton und Stahl gebildet. Die Stadtoberen, denen ein jüdischer Architekt suspekt ist, bestehen darauf, dass im Zentrum eine christliche Kirche stehen soll. Der Baumeister löst das Problem, indem er gleichsam liturgisches Licht in das Innere einfallen lässt.

Während der langen und häufig unterbrochenen Bauzeit geriert sich Harrison als Mäzen und Ausbeuter. Der Wunsch, etwas Grenzenloses zu schaffen, kettet ihn und László aneinander. Das Verhältnis zwischen Künstler und Bauherr bildet zwar den Konfliktherd des Films, sein Glutkern jedoch ist die elektrisierende Traurigkeit der Ehe zwischen László und Erzsébet, die seit ihrem Martyrium im Rollstuhl sitzt. Auf je eigene Art ringen sie mit den Wunden der Vergangenheit und dem Gefühl, keinen Halt in der neuen Heimat zu finden. Sie sind dort nicht willkommen. Ihre Herkunft steht zwischen ihnen und dem amerikanischen Leben: als sei sie ein Verschulden gegenüber der Normalität. Ihre Verzweiflung, ihr existenzieller Hunger kollidieren mit dem wohltemperierten Milieu der Geldaristokratie.

Um dieses Drama zugleich episch und intim erzählen zu können, hat Brady Corbet das VistaVision-Format wiederbelebt. Dessen hochauflösende Textur ermöglicht es, Panoramen weit zu öffnen, ohne dass die architektonischen Linien verzerren, und stellt zugleich eine porträthafte Nähe zu den Charakteren her. Es kommt dem stämmigen Ehrgeiz des Regisseurs entgegen, sämtliche Kräfte des Kinos verschwenderisch zu entfesseln. Jede Einstellung hat er mit Eigensinn signiert; die auf den Kopf gekippte Freiheitsstatue des Anfangs knüpft unmittelbar an die stürzende Kamerafahrt am Schluss seines Regiedebüts »The Childhood of a Leader« an. Corbets Inszenierung ist ein präzise choreographierter Taumel, in dem Kamera, Montage und das Verhalten der Figuren einer ungeahnten Kausalität folgen. Selbst die Architektur birgt ein Geheimnis: Sie ist nicht nach dem Gusto des Bauherrn gestaltet, sondern bildet insgeheim das Trauma des Architekten ab.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt