Kritik zu September & July

Die griechische Schauspielerin Ariane Labed adaptiert Daisy Johnsons Roman über zwei Schwestern und ihre symbiotische Beziehung. Mit ihrem Regiedebüt war sie im offiziellen Programm von Cannes eingeladen

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Kaum zehn Monate liegen zwischen September (Pascale Kann) und July (Mia Tharia): Seit sie denken können, sind die beiden grundverschiedenen Schwestern unzertrennlich. Sie haben sich ihre ganz eigene Welt geschaffen, zu der selbst ihre alleinerziehende Mutter Sheela (Rakhee Thakrar) kaum Zugang hat. Die Mädchen haben eine verschlüsselte Art, miteinander zu kommunizieren, mit tierischen Lauten, Fratzen und Körpersprache. In der Schule sind sie Außenseiterinnen, die schüchtern-sensible July wird gemobbt, die dominante September gefürchtet, weil sie ihre jüngere, etwas blauäugige Schwester beschützt, ihre Wut nicht immer unter Kontrolle hat und schon mal im Unterricht einer Mitschülerin den Haarzopf abschneidet. Ihre kleine Schwester hält sie an der kurzen Leine, auch durch Spielchen wie »September sagt«, bei dem July jede Mutprobe ausführen muss, so kindisch sie auch erscheinen mag. 

Sheela, wenn auch bisweilen überfordert, gibt sich alle Mühe, ihren Töchtern die Freiheit und den Mut zu erlauben, sich zu entfalten. Sie selbst arbeitet als Fotografin, immer wieder holt sie dabei ihre Mädchen vor die Kamera, lichtet sie in Kostümen und wilden Posen ab, verkleidet sie etwa als die blutverschmierten Gruselzwillinge aus Kubricks »The Shining«. Schon da sind die Ambivalenzen zu ahnen, mit denen der Film auf mehreren Ebenen spielt. Als sie nach einem Vorfall an der Schule zu dritt Oxford verlassen und zu einem alten Häuschen ins irische Nirgendwo fahren, das für Sheela ungute Erinnerungen an die Kindheit birgt, offenbart sich dort zwischen den Mädchen bald eine verstörend-destruktive Dynamik.

Ariane Labed war bislang vor allem als Schauspielerin bekannt, für ihre Rolle in Athina Rachel Tsangaris »Attenberg« wurde sie in Venedig 2010 als beste Darstellerin ausgezeichnet, mit Auftritten in den Filmen ihres Ehemanns Yorgos Lanthimos, »Alpen« und »The Lobster«, prägte sie die Neue Welle des griechischen Kinos maßgeblich mit. Nach mehreren Kurzfilmen als Regisseurin wurde sie mit ihrem selbst geschriebenen Langfilmdebüt »September & July« vergangenen Mai gleich ins offizielle Programm des Filmfestivals von Cannes eingeladen. 

Mit Empathie und Wohlwollen blickt Labed darin auf die beiden exzentrischen Mädchen; sie zelebriert die kleinen Geheimnisse der Jugend. Die Adaption des 2020 erschienenen Romans »Die Schwestern« der jungen britischen Autorin Daisy Johnson ist eine Mischung aus schwarzhumoriger Charakterstudie und klaustrophobischem Schauermärchen, in dem die Grenzen dieses innigen Verhältnisses zwischen bedingungsloser Liebe und Abhängigkeit verschwimmen. Dabei bleibt Labed lange im Vagen, auch in den immer wieder aufblitzenden Rückblenden wird eine traumatische Vergangenheit lediglich angedeutet. Mit Balthazar Labs atmosphärischen Bildern und Johnnie Burns unheimlichem Sounddesign (»The Zone of Interest«) fügt sich das, bis zum finalen Twist, nicht vollends zu einem überzeugenden Ganzen, macht aber durchaus neugierig auf Labeds weiteren Weg als Filmemacherin.

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