07/2024
»Lächle doch mal« – Zu dünn, zu dick, zu weiß, zu cool und dann auch noch schlecht gelaunt. Junge Schauspielerinnen im Shitstorm +++
»Hitzezonen des Verbrechens« – Der deutsche Gangsterfilm kam immer in Wellen – in einer stecken wir gerade mittendrin +++
»Summer of Glen« – Ist Glen Powell der neue fesche Held im Filmbusiness? Jetzt zu sehen in »A Killer Romance« und »Twisters« +++
Im Kino: Kinds of Kindness | Ein kleines Stück vom Kuchen | Die Ermittlung | Verbrannte Erde | Zwei zu eins +++
Streaming: Fancy Dance | House of the Dragon – Staffel 2 | Made in England – Die Filme von Powell und Pressburger | Godzilla Minus One | The Acolyte +++
In diesem Heft
Tipp
Abstieg in die Unterwelt: Phil Tippetts »Mad God« als Special Edition mit Blu-ray und DVD.
Rashida Jones spielt in »Sunny« eine Amerikanerin, die es nach Kyoto verschlagen hat, wo sie mit dem rätselhaften Nachlass ihres verstorbenen Manns konfrontiert wird.
In Orwells Geist. Hervorragend restauriert und mit zwei Soundtracks: Michael Radfords »1984«.
In »Fancy Dance« erzählt Erica Tremblay abseits von üblichen Stereotypen von einem Tante-Nichte-Gespann, das auf seine Weise den widrigen Lebensumständen der indigen-amerikanischen Community die Stirn bietet.
Die »Body Snatchers«-Versionen von Philip Kaufman und Abel Ferrara neu als Blu-ray-Mediabooks.
In der niederländischen Romanverfilmung »Bestseller Boy« retten sich die Autoren mit allerlei Kunstgriffen über die Runden.
Unter eigener Regie spielt Michael Keaton in »A Killer's Memory« einen an Demenz erkrankten Profikiller.
Trotz heftiger Fankritik schlägt sich die neueste »Star Wars«-Serie »The Acolyte« wacker als Detektiv-Story. Sie könnte aber noch etwas mutiger sein.
Schwarzhumorige Satire und ein eigener Kosmos an kulturellen Querverweisen: Eine Ausstellung im Schauraum: Comic und Cartoon in Dortmund würdigt das 35-jährige Bestehen der Simpsons.
RP Kahl verbindet in seiner Kinoadaption von Peter Weiss' Dokumentarstück Filmisches und Theatrales zu einer meisterlichen Darstellung des Systems »Auschwitz«. So leistet er nicht nur dringend notwendige Aufklärungs- und Erinnerungsarbeit. Er nährt auch die Hoffnung, dass das Benennen des Barbarischen es zugleich bannen kann.
Ron Howard präsentiert in »Jim Henson: Idea Man« den »Muppets«- und »Sesamstrassen«-Erfinder als überwältigend fantasievollen Künstler.
In »Godzilla Minus One« wird das Monster auf seine Ursprünge zurückgeführt – die Angst- und Schuldkomplexe in den Nachwehen des Zweiten Weltkriegs –, aber in einen neuen Kontext gestellt.
Geister und Gangster: Masahiro Shinodas »Pale Flower« von 1964 und »Demon Pond« von 1979 in einer DVD-Doppelbox.
In »Made in England: Die Filme von Powell und Pressburger« lässt Dokumentarist David Hinton Martin Scorsese von seiner Liebe zu den Filmen der »Archers« schwärmen.
Wurmreiten leicht gemacht: Die DVD von »Dune: Part Two« gewährt Einblick in die Werkstatt des Wüstenplaneten.
Am 6.7. spricht epd Film-Autor Jens Balkenborg im Kino des Deutschen Filminstituts & Filmmuseums mit Regisseur und Autor Michael Fetter Nathansky über seinen Film »Alle die Du bist«.
Die neue Staffel von »House of the Dragon« hat die schwere Aufgabe, auf einen Vorläufer aufzubauen, der nur wenig Eindruck im Gedächtnis hinterließ.
Thema
Zu dünn, zu dick, zu cool, zu schüchtern... und dann auch noch schlecht gelaunt. Junge Schauspielerinnen können nichts richtig machen.
Gangster im deutschen Film? Treten eher selten und dann in Wellen auf. Mit Thomas Arslans »Verbrannte Erde« und Jan Bonnys »Der Panther« sind gerade zwei Produktionen entstanden, die eine solche Hochphase markieren. Kein Zufall, meint unser Gastautor Christoph Hochhäusler.
Glen Powell schickt sich an, der neue fesche Held im Filmbusiness zu werden – demnächst kann man ihn in gleich zwei großen Produktionen sehen. Im Geschäft ist er aber schon länger.
Meldung
Maren Eggert, 50, spielt im TV, Kino und auf der Bühne. Die gebürtige Hamburgerin ist bekannt als Polizeipsychologin Frieda Jung im Kieler »Tatort« – und für ihre Zusammenarbeit mit Autorenfilmerin Angela Schanelec. Für »Ich bin dein Mensch« wurde sie 2021 mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet. Ihr neuer Film »Kein Wort«.
Erica Tremblay, 1980 geboren und aufgewachsen in Seneca, Missouri, drehte bis zu ihrem Spielfilmdebüt mit »Fancy Dance« vor allem Dokumentar- und Kurzfilme.
Poesie des Schmerzes: Nippon Connection präsentiert modernes japanisches Kino, in dem Lachen und Gruseln untrennbar verwoben sind.
Filmkritik
RP Kahl verbindet in seiner Kinoadaption von Peter Weiss' Dokumentarstück Filmisches und Theatrales zu einer meisterlichen Darstellung des Systems »Auschwitz«. So leistet er nicht nur dringend notwendige Aufklärungs- und Erinnerungsarbeit. Er nährt auch die Hoffnung, dass das Benennen des Barbarischen es zugleich bannen kann.
Informative Darstellung der elf Jahre währenden politischen Karriere des Sebastian Kurz, die an manchen Stellen etwas langatmig daherkommt.
Zwischen realer Ernüchterung und wundersamer Aufbruchsstimmung spinnt Natja Brunckhorst in ihrem zweiten Spielfilm, zusammen mit einem grandiosen Ensemble eine sommerleichte und zugleich nachdenkliche Vision vom Aufbruch in die Nachwendezeit.
Joachim A. Lang wagt eine Innenansicht der Nazi-Clique zwischen 1938 und 1945, gesehen aus der Perspektive von Joseph Goebbels. Ein kluger Film über das Funktionieren von Propaganda und die Macht der Bilder.
Ein nerdiger College-Professor schlüpft als Polizei-Lockvogel in die Rolle eines Profikillers – und verliebt sich in seine Zielperson. Richard Linklater gelingt eine smarte RomCom-Variation mit Neo-Noir-Einschlag, die nicht zuletzt von den großartigen Darstellern lebt.
Eine behutsam, melancholisch-sinnliche Geschichte über eine große Liebe und vererbte Traumata, angesiedelt in London und Hiroshima – von Baltasar Kormákur in wunderschöne Bilder gegossen, mit nur ganz wenig Kitsch.
Eine Schriftstellerin, die aus Kummer über den Tod ihres Mannes nicht mehr schreibt, auf Lesereise in Japan. Ihr dortiger Verleger, der eben von seiner Frau verlassen wurde. Der Geist ihres Mannes, der die beiden verkuppelt. Charmant gemeint, aber zu unbeteiligt inszeniert, um das Gefühl tatsächlich zu erreichen. Stattdessen aufgelegte Japan-Klischees.
2022 feierte »Am I OK?« Premiere in Sundance und fand einen Verleih, jetzt erst kommt der Film in die Kinos. Das Warten hat sich immerhin gelohnt: die von Komikerin Tig Notaro und Ehefrau Stephanie Allynne inszenierte Geschichte über zwei beste Freundinnen, von denen eine ihr spätes Coming Out erlebt, ist derart witzig und charmant geschrieben und von Dakota Johnson und Sonoya Mizuno so authentisch und hinreißend gespielt, dass man sich daran kaum sattsehen kann.
Mit seiner Mischung aus Roadmovie und surrealem Western-Tableau gelingt dem Marokkaner Faouzi Bensaïdi ein ausdrucksstarker Blick hinter die Kulissen einer dysfunktionalen Kultur.
Yorgos Lanthimos kehrt zur kalten Unerbittlichkeit seines Frühwerks zurück und erzählt in drei unabhängigen, doch mit den gleichen Darsteller*innen besetzten Episoden von einer absurden Welt voller menschlicher Abgründe. Schmackhaft wird das so böse wie drastische Spiel durch jede Menge überraschende Wendungen und irrwitzige Details sowie die großartige Besetzung.
Uninspiriertes und steifes Doku-Drama über den umstrittenen Bildhauer, Architekten und Maler Bernhard Hoetger, das in seiner konventionellen Form der widersprüchlichen Bandbreite seines Gegenstands nicht gerecht wird.
Vierter Animationsfilm um den Superschurken Gru, der seinen Kampf gegen einen neuen Bösewicht nun mit den Pflichten als Vater unter einen Hut bringen muss. Die eher dünne Handlung wird vor allem durch die Auftritte der Minions aufgelockert.
Nur ein Jahr nach »Sur l'Adamant« kommt von Nicolas Philibert nun eine Fortsetzung, die fast monothematisch das therapeutische Gespräch ins Zentrum stellt.
Wer vom Filmtitel auf den alten Sager vom Verbrechen schließt, das sich nicht lohnt, trifft ins Schwarze. Sehenswert ist aber in jedem Fall, mit welch nüchterner Eleganz Arslan diesen Gangsterfilm in Szene setzt. Kein Wort zu viel und keine überflüssige Geste lenken von der vernichtenden Erkenntnis ab, dass eine Gesellschaft, in der es selbst unter Dieben keine Ehre mehr gibt, am Ende ist.
Einfühlsam und zugleich distanziert beobachtet die Filmemacherin Bahar Bektaş, wie die Mitglieder ihrer Familie mit der Tatsache umgehen, dass der straffällig gewordene Bruder in die Türkei abgeschoben werden will. Eingerahmt von stimmungsvollen Bildern, vermitteln die kargen Dialoge etwas von der Melancholie, die über einer Familie liegt, die sich auch nach Jahrzehnten in der Fremde noch immer nicht angekommen fühlt.
Der heimliche Favorit des diesjährigen Berlinale-Wettbewerbs schleudert der Altersdiskriminierung im Kino den Fehdehandschuh entgegen. Ebenso fulminant wie diskret erzählen Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha (»Ballade von der weißen Kuh«), wie zwei Rentner ihr unverhofftes Liebesglück beim Schopf packen. Jeder Moment ist kostbar in diesem Kammerspiel, das die Eile mit heiterer Gelassenheit inszeniert.
Inspiriert vom Stummfilmgenre, erzählt Jos Stelling die Geschichte zweier Außenseiter: in Schwarz-Weiß, mit leisem Humor, verhaltener Melancholie und fantastisch-märchenhaften Effekten.
Eine pensionierte Lehrerin aus Georgien taucht in die queere Subkultur Istanbuls ein, um ihre trans Nichte wiederzufinden. Levin Akins Spielfilm verwebt Fragen um Identität zu einem berührenden Plädoyer für Solidarität und die Kraft der Veränderung.
Queere Liebesgeschichte gestaltet in einem wilden Mix aus Romanze, Exploitation, Body-Horror, Neo-Noir und Thriller, die mit expliziten und stilisierten Bildern einen rauschhaften Sog entwickelt.
Erhellende Doku über eine Kult-Band der USA, die für ihren Erfolg nur einen einzigen Hit brauchte. Born to be wild. Denn wenn sie jedes Mal, wenn dieses Lied gespielt, gecovert oder angestimmt wird, nur einen Cent bekommen würden, wäre jeder von ihnen Multimillionär.
Die Filmbiografie über Abbé Pierre, Gründer der Emmaus-Wohltätigkeitsorganisation, überzeugt durch Benjamin Lavernhe, der den französischen Nationalhelden als lebenslang Getriebenen porträtiert. Wo man sich als deutscher Zuschauer etwas mehr Details gewünscht hätte, ist der Film andererseits auch eine überfällige Hommage an die lebenslange Mitstreiterin des Abbés, Lucie Coutaz.
Stark gespieltes Drama um eine zerrüttete Mutter-Sohn-Beziehung und die Unfähigkeit, offen zu kommunizieren. Die mit stark gefilmten Bildern und Orchestermusik aufgebaute Dramatik der Geschichte geht zum Ende hin aber etwas ins Leere.
Eine Kinderbuchillustratorin kehrt in die Heimat zurück, um einen Ausweg aus ihrer Depression zu finden. Im Kreis der Familie wird sie mit alten Konflikten und einem bisher beschwiegenen Geheimnis konfrontiert. Aus der Wiederbegegnung schlagen Blandine Lenoir, die den Film ihrem Vater gewidmet hat, und ihr bestens aufgelegtes Ensemble heiter-melancholische Funken.
Riley ist inzwischen eine 13-jährige Jugendliche und die Pubertät bringt eine ganze Reihe neuer Emotionen, die in ihrer Schaltzentrale für Chaos sorgen. Das Sequel zum Animationshit von 2015 ist lebenskluges, im besten Sinne unverkopftes Vergnügen für (fast) alle Altersgruppen.