Lächle doch mal
Kristen Stewart in »Love Lies Bleeding« (2024). © Plaion Pictures
Zu dünn, zu dick, zu cool, zu schüchtern... und dann auch noch schlecht gelaunt. Junge Schauspielerinnen können nichts richtig machen.
Prominente leben von der öffentlichen Aufmerksamkeit, Präsenz in den Medien ist Teil des Geschäfts. Aber niemand steht mehr unter den Argusaugen der Presse als junge Schauspielerinnen. Warum machen wir ihnen das Leben und Arbeiten so schwer?
Die Dreharbeiten zu James Camerons »Titanic« (1997) verlangten Hauptdarstellerin Kate Winslet einiges ab. Vier Monate lang schlief sie maximal vier Stunden pro Nacht, litt an Unterkühlung, war mehrfach schwer erkältet und wäre einmal fast ertrunken. Was den Medien-Hype um »Titanic« begleitete, war aber nicht die physische oder darstellerische Leistung der damals erst 22-jährigen Winslet, die zuvor in Peter Jacksons »Heavenly Creatures« und »Sinn und Sinnlichkeit« ihr Talent bewiesen hatte. Während sich eine Generation von Fans in Leonardo DiCaprio schockverliebte, ging es bei seinem Co-Star meistens ums Gewicht. Hartnäckig hielt sich beispielsweise folgender Gag: Wäre Rose nur schlanker gewesen, hätten beide nach der Havarie des Schiffs auf der Tür überleben können und Jack wäre nicht ertrunken. Die Boulevardzeitungen konnten auch Jahre später nicht genug davon bekommen, Winslets angeblich zu großes Gewicht wieder und wieder zu thematisieren.
Jetzt ließe sich einwenden: Prominenz bringt eben nicht nur Privilegien. Die Boulevardpresse interessiert sich nicht für künstlerische Leistungen. Klatsch und Tratsch sind schnell produziert und locken die Masse. Trotzdem gehen Medien und Öffentlichkeit mit keiner Gruppe härter ins Gericht als mit jungen Schauspielerinnen, insbesondere wenn sie im Rampenlicht erwachsen werden. Ihre Körper werden anders als die ihrer Kollegen ganz selbstverständlich zur Verhandlungssache, die öffentlich kommentiert, kritisiert und fetischisiert werden darf. Hinzu kommt ein Phänomen, das Schauspielerin Amandla Stenberg, damals Nebendarstellerin in »Die Tribute von Panem«, 2016 als »Jennifer Lawrence Fatigue« bezeichnete: Nach dem immensen Erfolg der »Panem«-Reihe und ihrer Rolle als Gestaltwandlerin Mystique bei den »X-Men« hatten Medien und Publikum Lawrence plötzlich satt; sie konnte nichts mehr richtig machen und pausierte für zwei Jahre.
Kate Winslet wurde älter und setzte sich zur Wehr. 2003 war das »GQ«-Magazin gezwungen, sich öffentlich bei ihr zu entschuldigen, nachdem Fotografien ohne ihre Einwilligung retuschiert worden waren, um sie schlanker und größer wirken zu lassen. 2007 gewann sie eine Klage gegen das Magazin »Grazia«, das fälschlicherweise behauptet hatte, sie habe einen Diätdoktor aufgesucht. Das Schmerzensgeld in Höhe von 10 000 Pfund spendete sie an eine Wohltätigkeitsorganisation, die Menschen mit Essstörungen hilft. 2017 gründete Winslet mit Emma Thompson und Rachel Weisz die »Anti-Cosmetic Surgery League«, und sie lässt sich bis heute vertraglich zusichern, dass in Porträts von ihr – auch solchen für Beauty-Kampagnen bekannter Kosmetikfirmen – keine Falten retuschiert werden dürfen.
Ähnliche Erfahrungen machte Keira Knightley. Die 1985 geborene Schauspielerin wurde 2003 mit dem Erfolg von »Fluch der Karibik« über Nacht weltweit bekannt. Während sie in der britischen und US-amerikanischen Ausgabe des Männermagazins »FHM« und in anderen Lifestyle-Magazinen als »Sexiest Woman« auf den oberen Plätzen rangierte, mokierte sich die Yellow Press über ihr markantes Kinn. Auch bei ihr stand das Gewicht immer wieder zur Disposition, und Knightley wurde jahrelang unterstellt, sie leide an Magersucht. 2007 musste die »Daily Mail« diese Behauptung zurücknehmen und zahlen, auch Knightley hatte geklagt. Der »Guardian« konstatierte 2014: »Sie ist erst 29 Jahre alt, und doch hat sie in ihrer kurzen Karriere schon außergewöhnlich viel Feindseligkeit auf sich gezogen. Mal ist sie zu hübsch, um ihres Erfolges würdig zu sein, dann ist sie zu eingebildet oder zu dünn.« Knightley zog sich zurück, wählte kleinere Rollen und hat sich danach erfolgreich auf Geschichtsdramen spezialisiert. Laut eigener Aussage weil ihr die meisten zeitgenössischen Rollen, die ihr als Frau angeboten werden, zu wenig komplex sind. Nacktszenen dreht sie ausschließlich mit Regisseurinnen.
Auch das Gewicht von Superstar Zendaya (»Dune«, »Challengers«) ist offenbar ein Thema von internationalem Interesse. 2016 wehrte sie sich gegen einen Twitter-Kommentar der Comedienne Julie Klausner, die Zendaya unschmeichelhaft ein »anorektisches Role Model« genannt hatte. Klausner erwiderte auf den Vorwurf des Body-Shamings, sie werde weiterhin Prominente dafür kritisieren, unrealistische und für junge Frauen gefährliche Schönheitsideale zu propagieren. Darüber, ob eine gerade 20-Jährige die richtige Adressatin für diese Kritik ist, lässt sich streiten. Auch wenn unrealistische Schönheitsideale und damit verbundene Essstörungen durchaus mit dem Starkult Hollywoods zusammenhängen. Im Mai 2024 listete das Onlineportal »SheKnows« 46 Prominente auf – mehrheitlich Frauen –, die sich zu einer Essstörung bekannt hatten. Aber es macht einen Unterschied, ob Frauen ihre Erfahrungen öffentlich machen oder ob ihnen permanent etwas unterstellt wird.
Zendaya – übrigens eine der ganz wenigen BPoC-Schauspielerinnen, die vom Kinder- zum erwachsenen Superstar avancierten – muss sich außerdem gegen rassistische Äußerungen wehren. 2015 mokierte sich »Fashion Police«-Host Giuliana Rancic über Zendayas Outfit bei der Oscarverleihung. Ihre Dreadlocks verleiteten Rancic zu dem Kommentar, Zendaya rieche bestimmt »nach Patchouli-Öl und Gras«. Zendaya reagierte mit einem sachlichen Post auf diese Stereotypisierung, Rancic ruderte öffentlich zurück.
Zur ständigen Bewertung der Körper junger Schauspielerinnen gehört auch deren Objektifizierung und Sexualisierung. Besonders problematisch ist das, wenn sie schon als Kinderstars erfolgreich sind und unter den Augen der Öffentlichkeit erwachsen werden, auch wenn die Gesellschaft hier mittlerweile sensibler ist. 1978 war es für Louis Malle aber noch kein Problem, mit der damals erst 11-jährigen Brooke Shields Nacktszenen zu drehen – schließlich spielte sie in seinem Film »Pretty Baby« eine Kinderprostituierte. In »Die Blaue Lagune« (1980) wurden all ihre Nackt- und Sexszenen von einem Double performt. In der Promotour zum Film musste sie trotzdem intime Fragen zu ihrem Körper und ihrem Privatleben über sich ergehen lassen. Die Kontroverse um beide Filme bekamen auch die Regisseure Malle und Randal Kleiser zu spüren; sie wurden aber auf anderen Ebenen kritisiert als Shields, die persönlich angegriffen wurde. Einen Eklat löste wenig später eine Kampagne von Calvin Klein aus, in der Shields als Model für Jeans posierte und sagte: »What comes between me and my Calvins? Nothing!« CBS und ABC weigerten sich, den Spot auszustrahlen – aus Sorge, dass er als kinderpornografisch wahrgenommen werden könnte. Paradoxerweise musste sich wieder die minderjährige Shields öffentlich rechtfertigen, während Marke und Modeschöpfer profitierten und Klein zum Stardesigner wurde. In einem Interview mit der Zeitschrift »The New Yorker« 2023 gab Shields rückblickend an, in dieser Zeit jeglichen Respekt vor der Presse verloren zu haben.
Um die Körper junger Frauen zum Abschuss freizugeben, braucht es aber keine kontroversen Filme mit sexuellen Inhalten. Die Schauspielerin Mara Wilson wurde als Kinderdarstellerin in Familienfilmen wie »Mrs. Doubtfire«, »Das Wunder von Manhattan« und »Matilda« bekannt. Schon als Sechsjährige wurde sie in Interviews gefragt, ob sie einen Freund habe, und wenig später, wer für sie der heißeste Schauspieler sei. Noch bevor sie in die Pubertät kam, erhielt sie Liebesbriefe von 50-jährigen Männern, und als sie 12 Jahre alt war, existierte bereits eine ihr gewidmete Fußfetisch-Seite. An dieser frühen Sexualisierung und Fetischisierung hat auch #Metoo kaum etwas geändert. Wilson schrieb in einem Gastbeitrag in der »New York Times« 2023: »Hollywood hat sich vorgenommen, gegen die Belästigung in der Branche vorzugehen, aber ich wurde nie an einem Filmset sexuell belästigt. Meine sexuelle Belästigung ging immer von den Medien und der Öffentlichkeit aus.«
Das dürfte auch Emma Watson so empfunden haben. 2001, mit neun Jahren, verkörperte sie erstmals die Rolle von Hermine Granger in »Harry Potter und der Stein der Weisen«. Bis 2011, als die Reihe zu Ende ging, konnte ihr die Weltöffentlichkeit dabei zusehen, wie sie sowohl on- als auch offscreen erwachsen wurde. Zu ihrem 18. Geburtstag wurde in den Medien und im Internet ein Countdown heruntergezählt, aber nicht um mit ihr zu feiern. Ihre Volljährigkeit markierte den Zeitpunkt, sie legal und buchstäblich zum Abschuss freizugeben. Tatsächlich lauerten ihr Paparazzi während ihrer Geburtstagsfeier vor einem Londoner Club auf, um einen Schnappschuss unter ihren Rock zu bekommen. Dieser Art von Sexualisierung waren ihre Kollegen Daniel Radcliffe und Rupert Grint nicht ausgesetzt. Radcliffe brachte es 2014 in einem Interview mit Associated Press auf den Punkt. Er sei genervt von der Begründung von Castingverantwortlichen, er tauge nur als unkonventioneller romantischer Held, weil ihn alle noch als kleinen Zauberlehrling Harry sehen würden. Darauf entgegne er stets: »Männer hatten aber kein Problem damit, Emma Watson zu sexualisieren.«
Ähnliches berichtete auch Millie Bobby Brown, die als Eleven in der Netflix-Serie »Stranger Things« zum Star wurde. Zwei Wochen vor ihrem 18. Geburtstag 2022 kursierte die Ankündigung eines Reddit-Forums mit mehr als 6000 Followern, das pünktlich zu Browns Volljährigkeit erotische Fotos von ihr veröffentlichen sollte. Es ging nicht online, dafür wurde ein Post von Brown auf ihrem eigenen Instagram-Profil zu ihrem 18. Geburtstag augenblicklich mit sexuell expliziten Kommentaren geflutet. Dieser Countdown-Trend ist so alt wie das Internet. Es gab ihn schon, als Natalie Portman und die Olsen-Zwillinge ihren 18. Geburtstag feierten, und es war nichts, was hinter vorgehaltener Hand stattfand. Im August 2004 titelte beispielsweise das »Rolling Stone Magazine«: »Hot, Ready and Legal!« mit der damals gerade volljährigen Lindsay Lohan auf dem Cover.
Die rasant gewachsene Bedeutung und Reichweite des Internets und der sozialen Medien hat die ungefragte Bewertung aller Frauen millionenfach potenziert. Laut einer Studie der Economist Intelligence Unit 2020 haben 38 Prozent der Frauen weltweit bereits selbst online solche Belästigung erlebt, bei Millennials und Frauen der Generation Z (zwischen 1980 und 2012 geborene) ist der Anteil mit 45 Prozent deutlich höher. Die Belästigung und intersektionale Diskriminierung, die Schwarze und lesbische Frauen oder sich selbst als nonbinär bezeichnende Menschen erleben, ist da noch nicht mit eingerechnet. In einem offenen Brief forderten 2021 unter anderem Emma Watson und Thandiwe Newton die damaligen CEOs von Facebook, Google, TikTok und Twitter (heute X) auf, Maßnahmen zu ergreifen, um die massive Onlinebelästigung von Frauen zu stoppen.
Bei manchen Schauspielerinnen, denen früh der Durchbruch gelingt, entfällt die Phase des Hypes gleich ganz. Kristen Stewart hat wie viele der beschriebenen Frauen früh im Rampenlicht gestanden und wurde als gerade 18-Jährige mit der Adaption von Stephenie Meyers »Twilight«-Saga weltberühmt. Ein Medienliebling war sie trotzdem nie. Für ihre Verkörperung von Bella Swan erhielt sie durchwachsene Kritiken, das Urteil der Öffentlichkeit war ungleich härter. Sie galt als zu schüchtern, zu depressiv, als Erfinderin des »Resting Bitch Face« – ein Gesichtsausdruck der meistens Frauen zugeschrieben wird, die wütend aussähen, obwohl sie es nicht sind. Von da aus ist es nur ein kleiner grumpy cat-Sprung zur Aufforderung: »Lächle doch mal!« Bei Stewart ging die mediale Häme in die nächste Runde, als ihre Beziehung zu ihrem »Twilight«-Co-Star Robert Pattinson publik wurde. Da war sie doch schon mit einem der beliebtesten Teen-Idole der Welt liiert – und sah immer noch so mies gelaunt aus. Als schließlich ein Foto vom Set von »Snow White and the Huntsman« kursierte, das Stewarts heimliche Küsse mit Regisseur Rupert Sanders zeigte, sah sie sich zu einem öffentlichen »Mea culpa« gezwungen; die Regenbogenpresse stürzte sich auch noch einen Monat nach der Trennung auf Stewarts Fehltritt. Erst danach schwamm sie sich frei, wählte Rollen in kleineren Filmen, offenbarte mutig ihre Bisexualität und lässt Kritik an ihrem Privatleben und ihren Outfits mittlerweile komplett an sich abperlen.
Auch Kate Winslet, die nächstes Jahr ihren 50. Geburtstag feiert, ist noch immer erfolgreich. Für ihre Rolle als Ronal, spirituelle Anführerin der Na'vi in James Camerons Avatar-Fortsetzung »The Way of Water«, lernte sie übrigens das Apnoetauchen. Mit einer sieben Minuten lang unter Wasser gedrehten Szene, in der sie genauso lange die Luft anhält, stellte sie einen neuen Rekord für die längste gedrehte Unterwasserszene auf. Der offizielle Weltrekord im Apnoe-Zeittauchen der Frauen liegt bei 9:02 Minuten, gestandene Navy-SEALs schaffen im Durchschnitt angeblich nur 3. Vielleicht denken Sie das nächste Mal an diesen Fun Fact, wenn jemand über »Titanic« spricht.
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