Kritik zu Déserts – Für eine Hand voll Dirham
Mit seinem Roadmovie und vielen Anklängen ans Westerngenre gelingt dem Marokkaner Faouzi Bensaïdi ein ausdrucksstarker Blick hinter die Kulissen einer dysfunktionalen Kultur
Die beiden Männer haben sich im Nirgendwo verirrt. Als der Wind ihnen dann noch die Landkarte davonweht, sind sie vollends verloren. Diesen Zustand der Desorientierung dekliniert »Déserts« auf subtile Weise durch. Der marokkanische Regisseur Faouzi Bensaïdi schildert eine skurrile Odyssee, die sowohl zwischen Großstadt und Wüste als auch zwischen unterschiedlichen Genres und Tonfällen mäandert.
Im Auftrag einer Inkassofirma müssen Mehdi (Abdelhabi Talbi) und Hamid (Fehd Benchemsi) überfällige Kredite eintreiben. Ihr Job hängt an einem seidenen Faden, denn sie erfüllen ihr Soll nicht. Kein Wunder, denn auf ihrem steinigen Weg durch marode Drittweltdörfer im Süden des Landes ist nichts zu holen. Also helfen die schlitzohrigen Geldeintreiber nach, indem sie die ärmsten der Armen obendrein noch mit gefälschten Rechtstiteln übers Ohr hauen. Profitgierige Kapitalisten beuten Unterprivilegierte aus und erzeugen so Kriminalität, gewiss. Aber ohne Gespür für die Geschichten hinter dieser Geschichte wäre diese Geschichte stinklangweilig.
Im Stil eines lakonischen Kaurismäki-Films zeigt Bensaïdi, wie Mehdi und Hamid ihren klapprigen Renault durch das Absägen des Dachs zum Wüsten-Cabrio umfunktionieren. Ein Regenguss zeigt ihnen wenig später, dass ihre Idee nicht zu Ende gedacht wurde. Die eigentümliche Logik hinter solchen Fehleinschätzungen macht der Film mit einer faszinierenden Vielfalt episodischer Vignetten sichtbar. Pars pro toto blitzt diese Denkweise auf bei einem der Schuldner, der seine Säumigkeit dreist mit fehlender Erwerbstätigkeit begründet: »Seit ich meine zweite Frau habe, komme ich nicht mehr zum Arbeiten.«
Der slapstickartige Blick auf eine Kultur, die ihre Dysfunktionalität mit folkloristischem Stoizismus erträgt, weicht im zweiten Abschnitt einer westernartig anmutenden Meditation. Mehdi und Hamid sollen einen entlaufenen Sträfling überführen. Doch der klaut ihnen das Auto, befreit seine Geliebte aus den Fängen eines Schurken und überfällt eine Bank. Diese elliptische Geschichte dient nur als Aufhänger. Während Mehdi und Hamid sich poetische Geschichten wie aus Tausendundeiner Nacht erzählen, begegnet ihnen ein Strom von Flüchtlingen. Deren Anführer berichtet, dass man nur dann nach Europa kommt, wenn man den arabischen Akzent der Syrer imitiert. In Casablanca könne man das besonders gut: »Das klingt wie im Fernsehen.«
Solche grimmigen Pointen schießt der vielleicht eine Spur zu lang geratene Film ansatzlos aus der Hüfte. In jedem Detail ist zu spüren, dass Bensaïdi – der in der Nebenrolle eines geschäftsuntüchtigen Kioskbetreibers auch selbst auftritt – aus dem Vollen schöpft. Er kennt seine Landsleute. »Déserts« ist eine inspirierende Mischung aus Roadmovie und visuell beeindruckenden Wüsten-Tableaus. Doch die recht unbequeme Bestandsaufnahme der marokkanischen Gesellschaft – in der, wie mit beißendem Spott gezeigt wird, nicht einmal die Prostitution funktioniert – dürfte nicht durchweg auf Gegenliebe stoßen.
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