Kritik zu Ein Leben für die Menschlichkeit – Abbé Pierre

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In dieser Filmbiografie wird Abbé Pierre, der Gründer der Wohltätigkeitsorgani­sation »Frères Emmaus« und sperrige Schutzpatron der Obdachlosen, gewürdigt

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»Hältst du dich für Franz von Assisi?«, wird der Priester Henri Grouès von seinem besten Freund gefragt. Da hat der junge Priester gerade den Kapuzinerorden, in dem er sieben Jahre verbrachte, verlassen. Zu labil und dauernd krank sei er, der Großbürgersohn, er solle sich lieber eine kleine ruhige Pfarrei in Lyon suchen, so der Rat des Abts. Doch seinen Kindheitstraum, ein Heiliger zu werden, hat sich Grouès, der sich bald Abbé Pierre nennt, dennoch erfüllt. Jedenfalls, soweit dies in einer säkularen Gesellschaft möglich ist. Abbé Pierre (1912 – 2007) ist der Gründer der Wohl­tätigkeitsorganisation Emmaus, dank der bis heute zahllose Obdachlose von den Straßen geholt werden. Ein Dach über dem Kopf, ein Leben in Würde: mit diesem handfesten Credo tätiger Nächstenliebe wurde er in Frankreich zur Ikone. In Deutschland ist er eher unbekannt, was für hiesige Zuschauer dieser Filmbiografie, in der die Lebens­stationen des Priesters bewusst assoziativ und elliptisch inszeniert werden, ein gewisses Manko darstellt.

Eingerahmt wird die Chronologie durch den bitteren Off-Kommentar des Priesters kurz vor seinem Tod, in dem er sich fragt, ob er etwas erreicht habe. Benjamin Lavernhe, Mitglied der Comédie-Française, der in seinen Filmen, etwa »Das Leben ist ein Fest«, als etwas neurotischer Charakter hervorstach, ähnelt dem hageren Abbé auch optisch. Er spielt ihn als einen lebenslang Getriebenen, einen Asketen voll mitreißender Energie, der mit heiliger Unbedingtheit sich und anderen alles abfordert, seine Haut aufs Spiel setzt. So engagiert er sich, unter dem Decknamen Abbé Pierre, in der Résistance und geleitet jüdische Flüchtlinge über die Alpen in die Schweiz. Er zofft sich im Nachkriegsfrankreich als Abgeordneter mit Politikern, die, statt den Armen und Obdachlosen zu helfen, Milliarden in den Indochinakrieg stecken. Die Erhaltung seines in einem baufälligen Gebäude eingerichteten Heims, in dem er die Ausgestoßenen der Gesellschaft aufnimmt – so steigt etwa ein verurteilter Mörder zu seinem treuesten Helfer auf – wird leichter, als seine Schützlinge einen Gebrauchtwarenhandel aufziehen.

Die große Stunde des Priesters schlägt aber, als er sich im eisigen Winter 1953/54 Zugang zu einer Radiosendung erzwingt, einen Spendenappell für Decken und Zelte an die Bevölkerung richtet und eine beispiellose Welle der Hilfsbereitschaft lostritt. So entwickelt sich seine Organisation zu einem globalen Unternehmen, dessen Leitung der Abbé seiner, hier erstmals gewürdigten, leidensfähigen Mitstreiterin Lucie Coutaz überlässt. Der Abbé wird zur Talkshow-Berühmtheit, nervt weiterhin Politiker und steht noch im hohen Alter in der Suppen­küche. Stets aus Sicht des Abbés geschildert, bleiben die Konflikte etwas unterbelichtet.

Das Porträt dieses sperrigen Mannes ist aber niemals kitschig und dennoch bewegend – als Skizze eines innerlich zum Zerreißen angespannten Helden, der mit der Welt, die er nicht ändern konnte, haderte. Und der doch, in seinen Taten, bewies, dass er die Menschen, so wie sie sind, über alles liebte.

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