Kritik zu Juliette im Frühling

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»Alle Eltern traumatisieren ihre Kinder«, heißt es einmal in dieser leichtfüßigen Komödie. Blandine Lenoir fragt beharrlich nach dem eigenen Platz, den man sich in der Familie erstreiten muss

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Gemeinhin verbindet man ihr Erscheinen eher mit dem Herbst, aber im Titel von Camille Jourdys Graphic Novel kehren die Gespenster im Frühling zurück. Der Zusammenklang von Spuk und der Zeit des Erwachens ist verheißungsvoll. Im Titel von Blandine Lenoirs Verfilmung bleiben davon nur die Heldin und die Jahreszeit übrig, aber wunderlich geht es auch in ihr zu.

Die Gespenster der Vergangenheit hält der Film vorerst im Wartestand. Juliette (Izïa Higelin), die Kinderbücher illustriert, ist zwar ein Revenant, aber ein sehr irdischer. Nach langer Abwesenheit kehrt sie in ihre Heimatstadt zurück. Sie braucht Luftveränderung, denn sie durchlebt eine Depression. Vater Léonard (Jean-Pierre Darroussin) ist inzwischen etwas zerstreut geworden, dabei aber so gewitzt wie immer geblieben. Die ältere Schwester Marylou (Sophie Guillemin) führt ein strapaziöses Leben als Mutter, enttäuschte Ehefrau und Friseurin. Ihr euphorischer Geliebter verkompliziert die Verhältnisse überdies. Die geliebte Großmutter (Liliane Rovère) musste in ein Altersheim umziehen, wo ihre Unternehmungslust neue romantische Herausforderungen findet. Mutter Nathalie (Noémie Lvovsky) tritt erst spät auf den Plan; seit der Scheidung geht die gefürchtete Veganerin und leidlich begabte Malerin auf Sinnsuche.

Man begreift bald, weshalb Juliette zuerst ihren Vater aufgesucht hat: Er ist der Nahbare unter ihren Verwandten. Zwischen ihr und Marylou brechen alte Rivalitäten auf, die Mutter bleibt weitgehend abwesend. In der Familie herrscht eine Angriffslust, die im besten Fall heiter anmutet. Scharfzüngig sind sie allesamt; man schenkt sich nichts. Als Juliette mithilft, die Wohnung der Großmutter auszuräumen, taucht sie tief in die Welt ihrer Kindheit ein und stößt auf ein Geheimnis, das bis jetzt vor ihr verborgen wurde. Sie sei stets diejenige gewesen, die beschützt und abgeschirmt wurde, wirft ihr die vermeintlich robustere Marylou vor. Juliettes Depression scheint dies zu bestätigen. Sie wird von heftigen Panikattacken erschüttert. Dass Regisseurin Blandine Lenoir den Gefühlen einen eminent physischen Aspekt zu geben versteht, hat sie schon in ihren vorangegangenen Langfilmen demonstriert, in denen sie sich beherzt mit Themen wie Abtreibung und Menopause auseinandersetzte.

Ruhe und Gelassenheit findet Juliette beim Zeichnen. Dabei kann sie die Magie der Kindheit wiederaufleben lassen und zugleich die Gegenwart deuten. Bei der Wiederbegegnung mit der Familie wird es nicht zuletzt darum gehen, sich aus den Bildern zu lösen, in denen man bisher gefangen war. Das vielstimmig verfasste Drehbuch arbeitet emsig daran, den Entwicklungen alles Vorhersehbare zu nehmen. Zwischen Juliette und dem Mieter der Großmutter bahnt sich eine Romanze an, die vieldeutig bleiben kann. Die ungleiche Schwester entdeckt ungekannte Seiten an sich. Die Wirklichkeit darf sich verwandeln. Eine kathartische Aussöhnung ist nicht versprochen für diesen Frühling, aber der muntere Waffenstillstand des Finales stellt für Juliette und ihren Clan eine durchaus sommerliche Zukunft in Aussicht.

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