Nippon Connection 2024

Poesie des Schmerzes
»Penalty Loop« (2024)

»Penalty Loop« (2024)

Nippon Connection präsentiert modernes japanisches Kino, in dem Lachen und Gruseln untrennbar verwoben sind

Wenn ein Gangster singt, nimmt er meist ein schlechtes Ende. In Nobuhiro Yamashitas zauberhafter Komödie »Let’s Go Karaoke!« ist das anders. Denn der Regieveteran, dessen Debüt bereits auf dem allerersten Nippon-Festival lief, lässt einen Gangster buchstäblich singen. Damit verknüpft Yamashita zwei genuin japanische Phänomene: die Yakuza und die Leidenschaft für Karaoke.

Für die Begegnung zwischen organisiertem Verbrechen und Freizeitvergnügen findet die kurzweilige Stilübung einen ebenso komischen wie anrührenden Dreh. Im Fokus steht Satomi, ein junger Mann, der als Solist in einem ambitionierten Schulchor singt. Der einsetzende Stimmbruch dürfte jedoch seine engelsgleiche Sopranstimme ruinieren. Das aber ist nicht die einzige Sorge des jungen Mannes. Unversehens sitzt er in einer Karaoke-Bar – und zwar neben einem Yakuza, der ihm ein Angebot macht, das er nicht ablehnen kann . . .

Die Geschichte basiert auf einem erfolgreichen Manga von Yama Wayama. Adaptionen dieser Kunstform, die der Inselstaat auf seine Art kultiviert, bilden seit jeher einen Programmschwerpunkt des europaweit größten japanischen Filmfestivals. Mit dem diesjährigen Motto »Crossing Border« richtet Nippon Connection einen Fokus auf den Dialog des japanischen Kinos mit dem Ausland. Ein sensibles Motiv, denn Japan ist bekanntlich ein Land, das sich abschottet und großen Wert darauf legt, die Eigenheiten der eigenen Kultur zu wahren.

Trotz dieser Skepsis gegenüber dem Fremden greift das japanische Kino Einflüsse anderer Kulturen auf – die allerdings auf eine eigenwillige Art assimiliert werden. So überschreitet der großartige Festivalbeitrag Blue Giant mit der originellen Verknüpfung von Manga und Jazz auch Grenzen: auf eine japanische Art. In einer Vinyl-Bar – ein für Tokio typisches Phänomen – zieht die Barkeeperin einen Vorhang zur Seite und offenbart ein von der Decke bis zum Boden reichendes Plattenregal. Mit sicherem Griff legt sie eine Scheibe von Sonny Stitt auf: Seine Musik passt zum regnerischen Wetter.

Nach dieser Verbeugung vor einem der Großen des amerikanischen Jazz konzen­triert der Film sich dann aber auf ein japanisches Trio, das sich im Nippon-Musikbusiness durchbeißt. Blue Giant betreibt »kulturelle Aneignung« – aber im positiven Sinn. Zu den unverkennbaren Eigenarten des japanischen Kinos gehört es nämlich, Einflüsse aus anderen Kulturen so aufzugreifen, dass Nippon-Filme ihre unverkennbare Handschrift bewahren.

Diese Handschrift macht auch »Let’s Go Karaoke!« zu einem Erlebnis. Nicht zufällig gewann die Komödie einen der Hauptpreise der 24. Ausgabe von Nippon Connection. In diesem Film »bittet« der Yakuza den jungen Chorknaben um Gesangsunterricht. Bei den regelmäßigen Karaoke-Wettbewerben, die der Pate veranstaltet, wird der jeweils schlechteste Sänger mit einem Katzen-Tatoo bestraft. Um dieser ultimativen Erniedrigung zu entgehen, fragt der Yakuza seinen jugendlichen Lehrer nach einer aufrichtigen Bewertung seiner Darbietung – einem Gekreische, gegen das selbst Fußballchöre schön klingen. Wie nur soll der arme Junge ehrlich sein zu einem Schlächter, in dessen Handschuhfach er kurz zuvor noch einen abgeschnittenen Finger entdeckte?

Diese Mischung aus infantiler Verspieltheit und einer mitunter grausamen Art, die Dinge auf die Spitze zu treiben, zieht sich wie ein roter Faden (aus Blut) durch das diesjährige Nippon-Programm. In dem verstörenden Horrorfilm »Penalty Loop«, einer Verbeugung vor dem Zeitschleifenklassiker »Und täglich grüßt das Murmeltier«, bringt der Techniker Jun den Mörder seiner Freundin um. Erst vergiftet er ihn. Um sicherzugehen, ersticht er ihn brutal: wieder und wieder. Mit der Zeit schließt er Freundschaft mit dem Todgeweihten. Man unternimmt Ausflüge, amüsiert sich beim Bowling. Bis zu dem Moment, in dem Jun sein Opfer jeweils schmerzvoll ins Jenseits befördert…

Gewiss, japanische Filme tun weh. Und mit englischen Untertiteln sind sie nur mühsam zugänglich. Aber sie erweitern den Horizont. Unter den rund 19 000 Zuschauern, die das 24. Nippon Connection Festival in Frankfurt besuchten, befanden sich gewiss nicht nur Nerds und Puristen.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt