Kritik zu Exile Never Ends

© JIP Film

2024
Original-Titel: 
Exile Never Ends
Filmstart in Deutschland: 
04.07.2024
L: 
100 Min
FSK: 
Ohne Angabe

In ihrem Dokumentarfilm richtet Bahar Bektas ihren Blick auf die eigene Familie und zeigt, wie deren Mitglieder mit einer neuen Herausforderung umgehen: Bruder Taner will aus einem deutschen Gefängnis in die Türkei abgeschoben werden 

Bewertung: 4
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Exil, das sei die »Suche nach einem Ort, an dem man sich sicher fühlen kann«, sagt die Regisseurin und Drehbuchautorin Bahar Bektas in einem Gespräch über ihren Film im Deutschlandfunk. Für ihre Eltern, politisch aktive alevitische Kurden, die mit ihr und ihrem älteren Bruder Taner Ende der 80er Jahre aus der Türkei flohen und seither in Starnberg leben, habe »das Gefühl, nicht angekommen zu sein, nie aufgehört« – nicht zuletzt aufgrund rassistischer Anfeindungen und demütigender Erfahrungen, die sie mit den Behörden machen mussten. Auch wenn der Film den privaten und gesellschaftlichen Kontext kaum ausleuchtet, ist zu erkennen, dass sich die Familie einen gewissen Wohlstand erarbeitet hat. Um seinen Sohn zu empfangen, ist Vater Mustafa der Familie in die Türkei vo­rausgereist, wo man in Izmir eine Wohnung hat, die einmal als Alterssitz dienen soll.

Kristallisationspunkt der familiären Beziehungen in Bahar Bektas' Film – beim diesjährigen Max-Ophüls-Festival mit dem Preis der Filmkritik als »Bester Dokumentarfilm« ausgezeichnet – ist in erster Linie ein Abwesender. Ihr Bruder Taner, der aus ungenannten Gründen eine Haftstrafe absitzt, hat seine Abschiebung in die Türkei beantragt. Mit behutsamen Annäherungen ertastet Bektas die Gefühlslage der Familie angesichts des erneuten biografischen Bruchs. Taner habe »sein Leben zerstört und unseres auch«, sagt der Vater, hält ihn aber für »fleißig und talentiert«, um in der Türkei ein neues Leben zu beginnen. Sorgen macht ihm eher der in Deutschland geborene jüngere Sohn Onur, der depressive Phasen durchleidet und fatalistisch in die Zukunft schaut. Wie stark die Fluchtgeschichte nachwirkt, zeigt sich, wenn Mustafa die Schuld für die Entwicklung seiner Söhne in der eigenen politischen Vergangenheit sucht.

Die Kommunikation in der Familie scheint fragil. Er habe »seit einem Monat nicht angerufen«, wirft der Vater seinem Sohn Onur vor. Die Gesprächsfäden laufen vorwiegend über Bahar, die in ihrer Doppelrolle als Filmemacherin und Tochter eine Außen- und gleichzeitig Binnenperspektive wahrnimmt. »Exile Never Ends« ist keine kritische Reflexion der Familiengeschichte und steht auch nicht »typisch« für Migrantenschicksale. Vielmehr registriert der Film, der auf erklärende Kommentare ebenso verzichtet wie auf suggestive Musik, seismographisch die Gefühlsambivalenzen einer individuellen Familie in einer besonderen Lebenssituation. 

Dass der Film nicht voyeuristisch ist, verdankt sich zum einen der zurückhaltenden Art, mit der Bahar die Gespräche anstößt, zum anderen der Bildgestaltung der Kamerafrauen Antonia Kilian und Meret Madörin. Lange Einstellungen geben den Personen Raum, mit oft knappen Worten ihre Empfindungen anzudeuten. Die manchmal wie Gemälde wirkenden Naturaufnahmen der winterlichen Gegend um Starnberg oder die Blicke aus der Wohnung im verregneten Izmir verstärken die melancholische Stimmung, die über dem Film liegt.

Ambivalent auch das Ende: Mutter Yıldız, Bahar und Onur sitzen in gelöster Stimmung an einem Strand bei Izmir. Bruder Taner ist per Video aus dem Gefängnis zugeschaltet und schaut durch die Kamera in eine in die Ferne gerückte Freiheit. Seine Abschiebung aus Deutschland wurde auf ungewisse Zeit ausgesetzt.

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