Raimund Gerz

Filmkritiken von Raimund Gerz

Ausgehend von einem Fotoprojekt über Holocaustüberlebende rekonstruiert der Filmemacher Luigi Toscano, engagiert und Emotionen nicht verbergend, die Herkunft der Kiewer Ärztin Anna Strishkowa, die als namenlose Waise von der Roten Armee aus einem Lager in Polen befreit wurde.
Angelehnt an den gleichnamigen Roman des italienischen Autors Cesare Pavese erzählt die Regisseurin Laura Luchetti vom mühsamen Selbstfindungsprozess einer jungen Frau vom Land im Turin des Jahres 1938.
Einfühlsam und zugleich distanziert beobachtet die Filmemacherin Bahar Bektaş, wie die Mitglieder ihrer Familie mit der Tatsache umgehen, dass der straffällig gewordene Bruder in die Türkei abgeschoben werden will. Eingerahmt von stimmungsvollen Bildern, vermitteln die kargen Dialoge etwas von der Melancholie, die über einer Familie liegt, die sich auch nach Jahrzehnten in der Fremde noch immer nicht angekommen fühlt.
In ihrem zweiteiligen »Film von unten« demonstrieren Leslie Franke und Herdolor Lorenz anhand zahlreicher Beispiele, wie ein ungeregelter Wohnungsmarkt in deutschen und internationalen Großstädten zur Beute von Wohnungskonzernen und Immobilienspekulanten wird. Wie die als vorbildhaft für soziales Wohnen vorgestellten Städte Wien und Singapur als Muster für Deutschland dienen könnten, wird aber nicht thematisiert.
Episodenartig zeichnen Gabriele Voss und Christoph Hübner in ihrer Dokumentation das Bild einer Region, die sich vom größten Industriestandort Deutschlands in eine Dienstleistungs- und Kulturlandschaft verwandelt – mit allen Konsequenzen für die Menschen und die Natur in diesem 150 Jahre lang vom Bergbau geprägten Gebiet.
Sansibar im Jahr vor der Unabhängigkeit: Ein junger Kommunist sieht sich im Kampf gegen das britische Protektorat hin- und hergerissen zwischen seiner Geliebten und seinem revolutionären Auftrag. Der Film des tansanischen Regisseurs Amil Shivji weiß aber weder als Liebes- noch als Politdrama zu überzeugen.
Der Dokumentarfilm stellt fünf Menschen vor, die, alle zuvor im Bergbau beschäftigt, mit einer neuen Lebenssituation zurechtkommen müssen. Seinem Anspruch, damit auch das Männlichkeitsbild des Berufs infrage zu stellen, wird der Film nicht immer gerecht.
Agnieszka, die Altenpflegerin, und Dieudonné, der Tomatenpflücker, leben mehr oder weniger legal in Deutschland. Der Film verwebt in einer Mischung aus konventioneller Handlung und Experiment ihre beiden Geschichten über ein subversives Netzwerk.
Einer Hochzeit von Amir und Narges steht nicht nur der hohe Brautpreis entgegen, sondern auch die Kluft zwischen den sozialen Schichten, denen sie entstammen. Amirs Versuch, Geld für die Auslösung seiner Geliebten zusammenzubekommen, lässt ihn schließlich ins kriminelle Milieu abdriften. Regisseur Behrooz Karamizades Film ist keine plakative Anklage der Zustände im heutigen Iran, vielmehr findet er unaufdringliche Bilder für die Perspektivlosigkeit der jungen Generation.
Zwischen humanistischem Anspruch und interessengeleiteter »Realpolitik«: Lia Erbals Erinnerung an die Massenproteste in Hong Kong 2019 führt das Dilemma der China-Politik der Europäischen Union vor Augen. Der Film bleibt aber in seiner Kritik eher zurückhaltend.

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