Kritik zu Sold City

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Verdrängung, Entmietung, soziale und kulturelle Erosion: In ihrem Zweiteiler gehen Leslie Franke und Herdolor Lorenz den Folgen nach, die Wohnungsspekulation in deutschen und internationalen Großstädten nach sich zieht

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Als »Subventionierung privatwirtschaftlicher Interessen mit einer sozialen Zwischennutzung« charakterisiert Andrej Holm, Stadtsoziologe an der Berliner Humboldt-Universität, das System des sozialen Wohnungsbaus in Deutschland. Die Folgen dieses Konzepts werden an einer sechsköpfigen Kölner Familie sichtbar, die nach Ablauf der Sozialbindung im dritten juristischen Anlauf der Eigenbedarfsklage des Eigentümers weichen muss. Andere Betroffene schildern die rabiaten Methoden, mit denen Investoren, Wohnungskonzerne und Privateigentümer in Berlin ihren Mietern das Leben zur Qual machen: abmontierte Briefkästen, Reparaturstau, zeitweiliger Stromausfall, Kappen der Internetverbindung und andere Schikanen.

Mit drastischen Beispielen illustriert der vor allem durch eine Crowdfunding-Kampagne finanzierte Film im ersten Teil (»Eigentum vor Menschenrecht?«) die Situation vieler Mieter in Großstädten in Deutschland, dem Land, das einen der größten Mietanteile in Europa aufweist. Welche Umbrüche die Gentrifizierung ganzer Gebiete für die Stadtkultur bedeutet, macht der Film auch am Beispiel von London deutlich. Dort wurde etwa die große Sozialsiedlung Heygate in den 2010er Jahren geschleift, heute finden sich dort zu 75 Prozent frei verkäufliche Wohnungen. Als »Sterilisierung der Städte« beschreibt die britische Autorin Anna Minton diese Entwicklung hin zu einer architektonischen und sozialen Monokultur.

Was tun? Dieser Frage geht Teil 2 des Films unter dem Titel »Enteignung statt Miete für die Rendite« nach. Kontrastprogramm Wien: In sämtlichen der 23 Gemeindebezirke beträgt die Kaltmiete um sechs Euro pro Quadratmeter – Resultat einer vor über hundert Jahren angelegten Wohnungspolitik, die zu einem Bestand von über 400 000 Einheiten in direktem oder Teilbesitz der Stadt geführt hat. 62 Prozent der Wiener leben in Gemeindebauten mit gedeckelten Mieten und ohne befristete Sozialbindung. »Wohnen ist ein Menschenrecht«, sagt der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, das man »nicht allein dem Markt« überlassen dürfe. 

Verwunderlich ist aber, dass in dem als agitatorisch verstandenen »Film von unten« (Untertitel) als weiteres Modell für eine effektive soziale Wohnungspolitik Singapur ins Feld geführt wird. Mittels rigider Enteignungsgesetze hatte der Stadtstaat nach Abzug der Briten in den 1960er Jahren seinen Anteil am Landeigentum von 30 auf 80 Prozent gesteigert und seine Bewohner mit staatlichem Druck zu Wohnungseigentümern auf der Basis von Erbpacht gemacht. Dass es sich bei Singapur um eines der globalen Finanzzentren mit autoritären politischen Strukturen handelt, bleibt allerdings unerwähnt.

Über die Parole des Berliner Volksbegehrens »Enteignet Deutsche Wohnen & Co!« hinaus liefert das mit 200 Minuten recht lange Doublefeature aber keine konkreten Hinweise darauf, wie die Modelle Wien und Singapur auf bundesdeutsche Verhältnisse übertragen werden könnten.

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