66. Nordische Filmtage Lübeck
»Long Good Thursday« (2024). © Antti Rastivo, Solar Films
Verlust und Trauer waren häufig Thema bei den Nordischen Filmtagen, die auch in der 66. Ausgabe die Vielfalt skandinavischer und baltischer Filme zeigten
Auf einmal sitzt sie wieder an ihrem Platz am Tisch, die geliebte und vor kurzem verstorbene Lebensgefährtin von Tora. Aber sie spricht nicht in ihrem Totenhemd. Geliebte tote Menschen aus drei Familien tauchen in dem norwegischen Film »Håndtering av udøde« (Handling the Undead) von Thea Hvistendahl wieder auf – und man muss annehmen, dass es noch mehr sind. Viel Zeit lässt sich der Film bis dahin, zeigt die Familien und Menschen, aus deren Leben ihre Liebsten gerissen wurden. Untote gehören zu den beliebtesten Wesen des Horrorkinos, aber die Muster des Genrekinos bedient Thea Hvistendahl höchstens am Schluss. Aber schon vorher wirkte die Welt der Lebenden wie ein Zwischenreich, düster und irgendwie leblos.
Man fährt nicht zu den Nordischen Filmtagen, wenn man auf der Suche nach turbulenten Komödien ist. Die besten Filme im Spielfilmwettbewerb kreisten um die Themenkomplexe Verlust, Tod und Trauer. In »Min evige sommer« (My Eternal Summer) von Sylvia Le Fanu (Dänemark) leuchtet das Licht zwar so hell und unbefangen wie in einer unbeschwerten Sommerkomödie, aber das Leben von Fannys Familie während der Ferien an der See ist von der Krebserkrankung und vom nahenden Tod der Mutter geprägt. Fanny ist 16 und wird durch die Krankheit ihrer Mutter aus der Bahn geworfen. Junge Menschen können meist sehr schlecht damit umgehen, wenn ihre Eltern krank und pflegebedürftig werden. Fanny (großartig gespielt von der zum Zeitpunkt der Dreharbeiten erst 15- jährigen Kaya Toft Loholt) revoltiert regelrecht dagegen, sucht ihr eigenes Leben, trifft sich mit ihren Freundinnen, beginnt einen Ferienjob als Kellnerin, nur um aus dem Haus zu sein. Es ist eine ungewöhnliche Perspektive, von der aus Le Fanu ihren autobiografisch inspirierten Film erzählt, der angemessen behutsam und sensibel dem Leben der Familie bis zum Tod der Mutter folgt. Das Debüt von Le Fanu gewann gleich zwei Preise: den NDR-Filmpreis, Hauptpreis des Festivals, und den Baltischen Filmpreis für einen nordischen Film.
Im isländischen »Ljósbrot« (When The Light Breaks) von Rúnar Rúnarsson kommt der Tod dagegen ganz unvermittelt. Bei einer Explosion in einem Straßentunnel stirbt Diddi, der an diesem Tag eigentlich die Beziehung zu seiner Freundin Klara beenden wollte, weil er seit kurzem mit Una zusammen ist. Über 24 Stunden folgt Rúnarsson Una und ihrer Clique, von denen die meisten nichts von dem Verhältnis wissen. Und als dann noch Klara dazustößt, spürt man, wie unerträglich es für Una wird. Soll sie was sagen? Hat sie nicht auch ein Recht auf Trauer? Es gehört zu den vielen Stärken des Films, dass Rúnarsson diese Gefühlsnotlage sehr distanziert in Szene setzt. Aber wir Zuschauer merken, wie es in Una brodelt. Die Jury des Kirchlichen Filmpreises Interfilm hat Rúnarssons viertem Langfilm ihren Preis zugesprochen.
Es war in diesem Jahr der einzige Spielfilm aus Island, aber im Dokumentarfilmwettbewerb lief noch »The Day Iceland Stood Still« von Pamela Hogan (in Kooperation mit Hrafnhildur Gunnarsdóttir), eine kurzweilige, mit vielen Interviews bestückte Rekonstruktion des mittlerweile legendären 24. Oktobers 1975 – als fast alle Frauen der Insel ihre Arbeit niederlegten und für Gleichheit demonstrierten.
Die beiden düsteren, historisch orientierten und mit großem Aufwand realisierten Filme des Wettbewerbs gingen leer aus. »Marijas klusums« (Maria's Silence) folgt dem Schicksal der lettisch-russischen Schauspielerin Maria Leiko, die nach Moskau zurückkehrt und Opfer des Großen Terrors wird, wobei der Film sich an den Folterszenen ziemlich weidet. Wie »Maria's Silence« ist auch »Pigen med nålen« (The Girl With the Needle) in Schwarz-Weiß in Szene gesetzt. Eine junge Frau in Kopenhagen gibt nach dem Ersten Weltkrieg ihr frisch geborenes Kind an eine Adoptivvermittlerin, die sich als Serienmörderin entpuppt. Für Komödie und Unterhaltung war der Finne Mika Kaurismäki mit seinem Film »Mielensäpahoittajan rakkaustarina« (Long Good Thursday) zuständig, ein weiterer Film um den Miesepeter Grump (Heikki Kinnunen), der sich dieses Mal in eine Frau verliebt, weil sie einen besonderen Geruch hat: nach Kettensägenöl, Pinienrinde und Sägemehl . . .
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