Kritik zu Die Ermittlung
RP Kahl verbindet in seiner Kinoadaption von Peter Weiss' Dokumentarstück Filmisches und Theatrales zu einer meisterlichen Darstellung des Systems »Auschwitz«
Die zerstörerische Macht, die von Worten, von Sprache, ausgehen kann, offenbart sich vor allem in Hassrede und Diffamierungen, vor allem wenn sie wieder und wieder erklingen. Mit der Zeit werden Hetze und Vernichtungsfantasien zu einer Art von Normalität. So bereiten Worte den Boden für (Menschheits-)Verbrechen, wie sie von 1940 bis 1945 im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau begangen wurden.
Diese allein auf Vernichtung und Auslöschung zielende Kraft klagt Peter Weiss in einem der elf Gesänge der »Ermittlung«, seines Dokumentar-Theaterstücks über den ersten Frankfurter Auschwitzprozess, explizit an. Einer der Angeklagten, der Unterscharführer Stark, benennt die sprachlichen Wurzeln des mörderischen Systems der Nationalsozialisten: »Jedes dritte Wort in unserer Schulzeit / handelte doch von denen / die an allem schuld waren / und die ausgemerzt werden mussten.« Natürlich will er sich so selbst reinwaschen. Nur rechtfertigt dieser Verweis auf die Mechanismen hinter der Vernichtung nichts, er verdeutlicht nur vieles.
In RP Kahls vier Stunden langer Verfilmung des Stücks erklingt Starks Beschreibung des NS-Systems direkt vor der Pause. Der perfekte Zeitpunkt. Schließlich lenkt sie den Blick nicht nur auf die im Zentrum des Auschwitzprozesses stehenden größeren Zusammenhänge. Sie wirft ein Schlaglicht auf die Sprache und auf alles, was sie anrichten, aber vielleicht auch bewirken kann. Peter Weiss stellt der NS-Sprache der Entmenschlichung, eine klare, ganz und gar sachliche Sprache entgegen. Eine Sprache, die das Unmenschliche benennt und im Akt des Benennens einen Weg aus der Barbarei weist.
Und es ist diese Sprache, die RP Kahl ins Zentrum seiner Verfilmung stellt. Nichts in »Die Ermittlung« lenkt von den Fragen des Anklägers (Clemens Schick), den Einlassungen des Richters (Rainer Bock), den Kommentaren des Verteidigers (Bernhard Schütz), den Aussagen der 39 Zeugen und den Ausflüchten und Lügen der 18 Angeklagten ab. Kahl hat einen Weg gefunden, das visuelle Medium Film ganz vom Wort her zu denken. Jeder Schnitt, jede Einstellung, die mal Nina Pellers Bühnenbild, eine Annäherung an den Raum Gerichtssaal, mal einzelne Gesichter, mal die Anklagten als Gruppe in den Fokus rückt, unterstreicht die Worte, die zum eigentlichen Abbild der Vernichtungsmaschinerie Auschwitz werden.
Weiss' Oratorium, das mit dem »Gesang von der Rampe« beginnt und mit dem »Gesang von den Feueröfen« endet, durchmisst das ganze Grauen des Vernichtungslagers und zeichnet zugleich auf stilisierte Weise den Weg nach, den unzählige Deportierte von der Ankunft in Auschwitz bis zu ihrem Tod gehen mussten. RP Kahl hat jeden der elf Gesänge mit acht Kameras in einer Einstellung gedreht. Jede Szene wurde wie auf einer Theaterbühne durchgespielt. Die einzelnen Akzentuierungen ergeben sich allein aus dem Schnitt, der Verknüpfung der unterschiedlichen Kameraperspektiven zu einem fast schon musikalischen, auf jeden Fall perfekt durchkomponierten Ganzen.
»Die Ermittlung« löst die Grenzen zwischen theatralem und filmischem Arbeiten auf. Aus dem Hybriden seiner Entstehung erwachsen eine emotionale Intensität und eine analytische Schärfe, die sich eigentlich auszuschließen scheinen. Auf der einen Seite bekommt in den Berichten der Häftlingszeuginnen und Zeugen das Leiden der Insassen des Lagers eine Stimme, die nichts beschönigt. Auf der anderen Seite weisen jeder Satz und jedes einzelne Filmbild über die einzelnen Gräuel und Verbrechen hinaus. Sie offenbaren das gesamte System »Auschwitz«, das über die individuellen Opfer- und Tätergeschichten hinausgeht. Der damalige hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer wollte mit dem Frankfurter Auschwitzprozess eben dieses System der deutschen Öffentlichkeit vor Augen führen. Mit dem Film tritt RP Kahl, wie vorher schon Peter Weiss, in seine Fußstapfen.
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