Kritik zu Als Susan Sontag im Publikum saß
Norman Mailer und die zweite Welle: RP Kahl inszeniert ein bewusst selbstreflexives Reenactment eines berühmten Panels über Feminismus aus dem New York der 70er Jahre
Wissen Sie, wer Jacqueline Ceballos, Germaine Greer, Jill Johnston oder Diana Trilling sind? Als Vertreterinnen der intellektuellen Elite der 1970er Jahre und der zweiten Welle der Frauenbewegung in den USA sind sie hierzulande heute kaum bekannt. Während bei der Erwähnung von Susan Sontag immerhin irgendwas mit »faschistischer Ästhetik« aus den hinteren Hirnwindungen gepult wird. Marketing dürfte daher der Hauptgrund für den griffigen Titel von RP Kahls Dokumentarfilm sein, denn Susan Sontag hat hier nur einen Kurzauftritt.
Ausgangspunkt ist eine Diskussionsrunde, die 1971 in der New Yorker Town Hall unter dem Titel »A Dialogue on Women's Liberation« stattfand. Mit den oben erwähnten Frauen stritt damals Schriftsteller Norman Mailer, was von RP Kahl zunächst als Reenactment für die Theaterbühne, dann filmisch verarbeitet wurde. Die Feministinnen auf dem Podium werden von Marie Céline Yildirim, Saralisa Volm, Luise Helm und Heike-Melba Fendel, Mailer von Regisseur RP Kahl selbst verkörpert. Das Reenactment in deutscher Übersetzung wird wiederholt unterbrochen, wenn die Darsteller*innen aus ihrer Rolle fallen, um die Dialoge von einst aus heutiger Sicht zu kommentieren.
Was etwas sperrig klingt, macht die ersten Minuten des Films zu einer interessanten Selbstreflexion. Über feministische Forderungen damals wie heute, über politisches Theater und das Reenactment an sich. Ist dieser Versuchsaufbau aber begriffen und hört man genauer hin, wird der Film unerträglich. Von den Schauspielerinnen, die die Akteurinnen von einst verkörpern, bezeichnet sich kaum eine selbst und überzeugt als Feministin. Mehrmals springen sie RP Kahl sogar zur Seite, wenn es um krude Befürchtungen wie die geht, #Metoo und die Folgen könnten die Romantik zwischen den Geschlechtern zerstören.
Die vermeintliche Erkenntnis des Films, dass der Gender Pay Gap existiert, Care-Arbeit noch immer unfair aufgeteilt ist, sexualisierte Gewalt und Femizide alltäglich sind oder reproduktive Rechte versagt werden, dürfte Feminist*innen nur ein schulterzuckendes »No shit, Sherlock?« entlocken. Aktuelle Diskussionen um Rassismus, Klassizismus und transfeindliche Strömungen, die derzeit im Kontext eines intersektionalen Feminismus erbittert geführt werden, bleiben hingegen ausgeklammert.
Dabei hätte das Reenactment eine Chance sein können. »The Case You« – der einen realen Missbrauch im Rahmen eines Castings behandelt – gelingt es beispielsweise, den echten Vorfall und seine Dynamiken durch theatrale Interpretation durch Betroffene präzise zu rekonstruieren. »Als Susan Sontag im Publikum saß« ergötzt sich schlicht an den ach so klugen Unterhaltungen, die gut ausgeleuchtete, privilegierte Menschen im Rampenlicht führen. Über den Stand der Dinge feministischer Notwendigkeiten lernen wir hingegen nichts. Besser ist es da, Chris Hegedus' und D. A. Pennebakers Dokumentarfilm »Town Bloody Hall« (1979) archivarisch aufzuspüren, der auf einem Mitschnitt des Panels basiert.
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