Netflix: »Godzilla Minus One«

OmeU © Netflix

Katastrophe als Protest

Im 30. Godzilla-Realfilm der japanischen Produktionsfirma Toho geht es um den Kamikaze-Piloten Koichi Shikishima (Ryunosuke Kamiki), der in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs desertiert und fortan mit seiner Feigheit hadert. Nach der Kapitulation Japans nimmt er ein Waisenkind auf und behauptet sich während des Wiederaufbaus Tokios gegen ein riesiges Kaiju, das mit seinem atomaren Feueratem die Bevölkerung knechtet.

Die Zeiten, in denen die Monster von einem Mann im Gummianzug dargestellt wurden, sind auch im traditionsbewussten Japan vorbei. Das imposante Biest in »Godzilla Minus One« ist eine digital erschaffene Kreatur, die durch ein ebenfalls im Computer generiertes Nachkriegsjapan wütet. Der Film ist ein mit dem Mythos des in diesem November 70 Jahre alten Klassikers »Gojira« aufgeladenes Reboot, das die atomare Kinderstube des Kaijus wieder aufleben lässt.

Wie schon das Original von 1954 ist »Godzilla Minus One« ein sepiafarbenes Antikriegsdrama. In den japanischen Kinos erfuhr der Film in diesem Frühjahr gar eine Wiederaufführung in Schwarz-Weiß (Godzilla Minus One / Minus Color), damit er seinem Vorbild noch ähnlicher ist. Doch der Tonfall der Geschichte hat sich grundlegend geändert. Die Scham der Niederlage war im Nachkriegsjapan so unfassbar, dass eine monströse Metapher wie Godzilla erfunden werden musste, um die Katastrophe zu versinnbildlichen.

Im Original war das Kaiju die Personifizierung des durch die Amerikaner evozierten Atombombentraumas von Hiroshima und Nagasaki. Dem stolzen japanischen Volk wurde die Opferrolle zugewiesen. In »Godzilla Minus One« ist neben dem Leid nun auch die Mitverantwortung der Japaner am Schrecken des Krieges ein Thema.

Der Deserteur Shikishima ist kein schändlicher Vaterlandsverräter, sondern ein an der Sinnhaftigkeit des Krieges Zweifelnder, der im Verlauf des Films zum treu sorgenden Vater und Ehemann wird und die traumatisierte Nation mit seinen Skills als Kamikaze-Pilot vor der Bedrohung durch das Riesenmonster retten will. Protestkultur ist in einem von Gehorsam geprägten Land wie Japan ein noch zartes Pflänzchen. Es braucht Filme wie »Shin Godzilla« (2016) oder jetzt »Godzilla Minus One«, um mit verschlüsselten Botschaften den Umgang der Regierung mit der Havarie des Atomkraftwerkes in Fukushima anzuprangern oder das Verheizen junger Soldaten im Zweiten Weltkrieg zu verurteilen.

Autor und Regisseur Takashi Yamazaki gelingt das Kunststück, mit einem vermeintlich trivialen Genrefilm den kollektiven Schuldkomplex nicht aufgearbeiteter Kriegsverbrechen zu thematisieren und gleichzeitig patriotisch zu sein. Großen Anteil an der emotionalen Wirkung hat der Score von Naoki Sato, der auch das klassische Godzilla-Thema von Akira Ifukube zitiert. Bei den diesjährigen Academy Awards wurde »Godzilla Minus One« mit einem Oscar für die besten visuellen Effekte ausgezeichnet. Und das, obwohl er mit 15 Millionen US-Dollar nur einen Bruchteil dessen gekostet hat, was für den letzten Monster-Verse-Beitrag »Godzilla x Kong« ausgegeben wurde.

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