Disney+: »Jim Henson: Ein Mann voller Ideen«
Seit es Menschen gibt, gibt es Puppen. Marionetten nutzte man schon in der Antike. Aber auch wenn warme Kollektiverinnerungen etwa an das »Urmeli« zum letzten Mal bei der Generation X auftraten, haben andere einen gleichbleibend großen Wiedererkennungswert. Ernie und Bert etwa oder die »Muppets« Kermit und Miss Piggie. Sie wurden von Jim Henson kreiert, dem Ron Howard nun einen umfassenden Dokumentarfilm widmet.
Der Film zeigt zunächst einen schmalen 19-jährigen Studenten aus Mississippi, der eine Erwachsenen-Puppen-Sketchreihe in einem Lokalfernsehsender unterbringt – gemeinsam mit seiner Klassenkameradin und späteren Ehefrau Jane. Bei einer Europareise entdeckt Henson durch ein Projekt des Theaterkünstlers Josef Svoboda, wie ernst Puppenspiel genommen werden kann. Einer Einladung des neu gegründeten »Children's Television Workshop« sagte er darum in den 60ern zunächst nicht zu – für ihn gehörten Puppen in die Erwachsenenunterhaltung. Doch die Chefin der Organisation hatte die damals revolutionäre Idee, Vorschulkindern aus prekären Verhältnissen durch Puppen spielerisch Bildung nahezubringen. Das überzeugte Henson, und gemeinsam mit Jane und Frank Oz entwickelte er die »Sesamstraßen«-Charaktere.
Kermit – der sympathisch-nervöse, nimmermüde Frosch, Hensons Alter Ego, entstand aus einem grünen Mantel von Hensons Mutter, Pappen für den Mund und halbierten Tischtennisbällen als Augäpfeln. Die dünnen Stoffschichten ermöglichten es den Spielenden, eine bewegliche und mimisch ausdrucksstarke Puppe zu führen – im Unterschied zu den klassisch-europäischen Holzmarionetten, deren Mimik starr blieb. Genau diese kommunikative Ausdrucksstärke zeichnete auch die späteren Erfolgspuppen der Jim Henson Company aus: Die Muppets sind redselig. Sie singen, lachen, schreien – und passen somit in die US-amerikanische Tradition, die auch im Filmbereich eher das Theater und damit den Dialog zum Vorbild nahm. Ganz anders als der deutsche Film, der sich in seinen Anfangszeiten visuell und erzählerisch beim (dialogfreien) Expressionismus bediente.
Howards Dokumentarfilm ist affirmativ, und formal konventionell. Doch er zeigt, wie sehr Henson an die Macht seiner Stoffgeschöpfe glaubte – und wie unermüdlich er arbeitete. Henson waren Puppen als künstlerische Ausdrucksform näher als Menschen, obwohl er mit dieser Auffassung zuweilen scheiterte: Zwar waren der erste »Muppets«-Spielfilm von 1979, für den in Prä-CGI-Zeiten aufwendig eine Unterwasserkiste gebaut werden musste, um Kermit in einem Tümpel zu drehen, oder der Live-Action-Puppenspielfilm »Der dunkle Kristall« von 1982 Achtungserfolge. Hensons Versuch, menschliche Schauspieler:innen zu inszenieren, etwa David Bowie und Jennifer Connelly in »Labyrinth« von 1986, scheiterten jedoch – die Komplexität von Drehbuch, Charakterzeichnung und Regie konnte oder wollte Henson nicht erfassen.
Der Film malt Henson als überwältigend fantasievollen, schöpferischen, viel zu früh gestorbenen Künstler. Seine Werke Kermit, Ernie und Miss Piggie haben ihn überlebt.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns