Viennale 2024 – Breites Panorama

»C'est pas Moi« (2024). © Viennale

»C'est pas Moi« (2024). © Viennale

Ob Retrospektive zu Robert Kramer oder die Darstellung der japanischen Kolonialzeit im koreanischen Kino: Neben dem Hauptprogramm bot die Viennale auch in den Nebenreihen spannende (Wieder-)Entdeckungen

Die Viennale ist traditionell ein vom Arthouse-Schmeichler bis zum Experimentellen breit aufgestelltes Filmfest, das dieses Jahr etwa von 
Pedro Almodóvars »The Room Next Door« über sieben thematische Kurzfilmprogramme bis zu dem (bereits auf Festivals in Oberhausen und Rotterdam vorgestellten) feministischen Politfilmkollektiv Los Ingrávidos aus Mexiko reichte. Eine »Monografie« war der brasilianischen Regisseurin Juliana Rojas gewidmet, die mit ihrem jüngsten Film »Cidade; Campo« den Regiepreis der Berlinale-Encounters gewonnen hatte und in vielen ihrer Arbeiten lustvoll den Alltag der brasilianischen Mittelklasse mit Genre-Elementen aus Horror oder Musical infiziert. 

Fulminant eröffnet wurde das Festival von Leos Carax' nur 42-minütigem, an Assoziationen überquellendem Filmfeuerwerk »C'est pas moi«. An die Frage individueller Präsenz und Autorschaft knüpft perfekt auch die große – wie üblich vom Österreichischen Filmmuseum in Kooperation mit der Viennale realisierte – Retrospektive an, die dem 1939 in New York geborenen Robert Kramer gewidmet war: einem leidenschaftlichen Cineasten, der sich vom filmenden Aktivisten zum Essayisten mit persönlicher Caméra-Stylo-Handschrift entwickelte. Der Mitbegründer des Newsreel-Filmkollektivs in den 1960ern fand nach Studium und Studienreisen über die portugiesische Revolution ins Frankreich Mitterrands, wo seine in der Heimat weitgehend ignorierten Filme ein begeistertes Publikum und dann auch Finanzierung fanden – und ihn mit Kollegen wie Serge Daney und Richard Copans zusammenbrachten.

Kramer probierte sich auch in semidokumentarischen Erzählformen – besonders beeindruckend 1975 in »Milestones«, der in einer breit geführten nicht narrativen Montage mit vier Dutzend Figuren und insgesamt 206 Minuten durch die ins Private abgleitenden Überbleibsel weißer US-Gegenkultur nach dem Ende des Vietnamkrieges streift: Szenen vagabundierenden Lebens zwischen Hippiekommune, familiären Auf- und Abbrüchen, Barjobs, Drogen, indigener Kultur und der Repression der Antikriegsbewegung, gespickt mit ikonischen Schnipseln aus der Schwarzen und sozialistischen US-Geschichte. Das ist tollkühn gedreht und geschnitten und heute (wie auch andere Arbeiten Kramers) in seiner seismografischen Genauigkeit auch eine Fundgrube historischer Erkenntnis – in diesem Fall über die westliche Gesellschaften bis heute prägende Periode zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und antikolonialen Befreiungskämpfen.

In ähnlicher Weise gilt dies auch für den Niederschlag der Erfahrungen unter japanischer Kolonialherrschaft im südkoreanischen Kino der Nachkriegszeit (in einem Fall noch unter japanischer Besetzung), die beim Wiener Festival unter dem Titel »Haunted by History« in Anwesenheit des Leiters des Koreanischen Filmarchivs KOFA Kim Hong-joon präsentiert wurden. Ein mit zwölf Filmen aus den Jahren 1940 bis 2016 quer durch alle Genres vom Horror (The Public Cemetery Under the Moon, 1967, Kwon Cheol-hwi) über die Erotikburleske (Mulberry, 1986, Lee Doo-yong) bis zum feministischen Dokumentarfilm über sogenannte Trostfrauen (The Murmuring, 1995, Byun Young-joo) breit angelegtes Panorama, bei dem sich etwa mit »Evergreen Tree« (Shin Sang-ok, 1961) ein patriotisches Melodram um eine junge Dorflehrerin genießen ließ, das auch die Herrscher in Nord- und Südkorea gleichermaßen goutierten.

Die Hommage des Filmarchivs Austria im hauseigenen historischen Metrokino war dieses Jahr der Darstellerin Helene Thimig gewidmet, die vielen vor allem als Witwe des Regisseurs Max Reinhardt bekannt sein dürfte. Doch die 1889 geborene Künstlerin und spätere Pädagogin machte sich auch seit 1911 erst am Berliner Schauspielhaus und dann am Wiener Theater in der Josefstadt selbst einen Namen. Zum Film kam sie – nach einem frühen Ausreißer in »Mensch ohne Namen« (Gustav Uzicky, 1932) erst im Exil von Hollywood, wo sie sich mit – meist kleinen – Filmrollen auch in den Filmen anderer Exilanten das Überleben sicherte. Ihre einzige Hauptrolle spielte sie kurz nach Max Reinhardts Tod in Anthony Manns Film Noir »Strangers in the Night« 1944.

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