Kritik zu The Room Next Door

englisch © Sony Pictures Classics

Pedro Almodóvar setzt mit der Adaption des Sterbehilferomans »Was fehlt dir« von Sigrid Nunez seine in »Leid und Herrlichkeit« (2019) begonnene Auseinandersetzung mit Alter und Tod fort. In Venedig bekam er den Goldenen Löwen dafür 

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Der Andrang ist groß, als die Bestsellerautorin Ingrid (Julianne Moore) in der Buchhandlung Rizzoli in ihrer Heimatstadt New York ihren neuen Roman signiert, ein Buch über den Tod. Spontan erklärt sie sich bereit, die vereinbarte Zeit zu überziehen, um die noch in der Schlange Wartenden nicht wegschicken zu müssen. Da tritt eine alte Bekannte an Ingrids Tisch, die beiden kommen ins Gespräch und Ingrid erfährt eher beiläufig vom Krebsleiden einer anderen alten Freundin, Martha (Tilda Swinton), einer ehemaligen Kriegsreporterin, die sie seit Jahren nicht gesehen hat. 

Besorgt sucht Ingrid wenig später Martha im Krankenhaus auf. Trotz deren labilen Zustands ist zwischen den alten Freundinnen schnell wieder eine vertraute Nähe da – und eine Bereitschaft auf beiden Seiten, wohlwollend ehrlich miteinander und zu sich selbst zu sein. Ingrid beginnt, regelmäßig mit Martha Zeit zu verbringen, die beiden führen ausführliche Gespräche über sich, das Leben und das Sterben, die Liebe und die Kunst. Marthas Verfassung schwankt, mal ist sie euphorisch angesichts eines neuen Medikaments, das Wunder verspricht und an ihr getestet werden soll, dann wieder fühlt sie sich verzweifelt und kraftlos. Als sie Ingrid schließlich bittet, gemeinsam mit ihr einige Wochen in einem idyllisch gelegenen Haus in den Wäldern Neuenglands zu verbringen, erklärt diese sich dazu bereit, wohl wissend, dass die unheilbar erkrankte Martha dort ihr Ende selbst bestimmen will.

Es hat lange gedauert, bis sich Spaniens wichtigster lebender Regisseur aus seiner Komfortzone gewagt hat. Seit den 1980ern erzählt Pedro Almodóvar, ob in schrillen Komödien oder tieftraurigen Melodramen, von Liebe, Tod und Leidenschaften, oft mit Frauen als Hauptfiguren, ob in »Alles über meine Mutter«, »Volver« oder zuletzt »Parallele Mütter«, und begeistert damit eine weltweite Fangemeinde. Nach zwei englischsprachigen Kurzfilmen – dem Cocteau-Einakter »Die menschliche Stimme« (ebenfalls mit Swinton) und dem queeren Western »Strange Way of Life« – sowie etlichen abgebrochenen Projekten hat er nun mit dem Roman »Was fehlt dir« von Sigrid Nunez aus dem Jahr 2020 endlich den richtigen Stoff und die perfekte Besetzung gefunden, um erstmals einen abendfüllenden Spielfilm in englischer Sprache zu inszenieren.

Auch wenn er auf der anderen Seite des Atlantiks spielt, ist man sofort mittendrin im Almodóvar-Universum, dank des melancholisch-seduktiven Scores seines Stammkomponisten Alberto Iglesias, der atemberaubenden Kostüme Bina Daigelers und der präzisen Bildgestaltung Eduard Graus. Die Farben führen darin ein Eigenleben, das Gelb von Marthas Kleid, das Grün des Liegestuhls auf der Veranda, die Blumentapete im Krankenhaus. Sie erzählen eine zweite Geschichte, während die beiden Frauen von Erinnerungen und ihrer tiefen Freundschaft sprechen, von Kunst und gemeinsamen Liebhabern, von Schmerz, Reue und Loslassen. Und von der Hoffnung eines Neubeginns. 

»The Room Next Door« ist ein intimes Zwei-Frauen-Kammerspiel, das Almodóvars Auseinandersetzung mit Alter und Sterben nach Schmerz und Leidenschaft nahtlos fortsetzt. Unsentimental und untheatralisch, fast nüchtern und leise inszeniert er diese Begegnungen am Ende eines Lebens. Wie so oft verwebt er dabei Zitate, verweist auf andere Werke, in deren Gefühlswelten und Themen er seinen Film verortet, diesmal John Hustons »Die Toten«, nach einer Kurzgeschichte aus James Joyces »Dubliners«, und Max Ophüls' »Brief einer Unbekannten«, nach der Stefan-Zweig-Novelle. Beides Literaturverfilmungen, deren Echos immer wieder anklingen.

Als Schwachstelle erweist sich dabei ausgerechnet Tilda Swinton. Vor allem in der ersten Hälfte verliert sie sich bisweilen im Overacting. Sie am Ende neben der Figur der Martha auch noch deren lange verschollene Tochter verkörpern zu lassen, wirkt unfreiwillig komisch.

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