Kritik zu Kinds of Kindness

© 20th Century Studios

Von Macht und Hörigkeit, Abhängigkeit und Entfremdung: Yorgos Lanthimos knüpft in seinem ­Episodenfilm an seine frühen Werke an und schaut kühl in die finstersten menschlichen Abgründe

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Wer nach »The Favourite« und »Poor Things« vom neuen Lanthimos einen weiteren grotesken wie überschwänglichen »Joyride« erwartet, wird von »Kinds of Kindness« unweigerlich enttäuscht sein. Kalt und berechnend ist sein neuer Film, und schon der Titel ist kaum anders als zynisch zu verstehen, wartet das Werk doch mit einem Reigen der Gemeinheit auf. Der Blick in menschliche Abgründe ist zwar allen Werken des griechischen Auteurs gemeinsam, doch die Präzision und Unerbittlichkeit, mit der er hier von einer grausam absurden Welt erzählt, schließt weniger an seine kürzlichen Erfolge denn an böse frühere Werke wie »Dogtooth« oder »The Killing of a Sacred Deer« an, bei denen er ebenfalls mit Drehbuchautor Efthymis Filippou zusammenarbeitete.

Stilistisch gibt sich Lanthimos zurückhaltend: Klar und elegant sind die Bilder von Kameramann Robbie Ryan, und ganz an der Oberfläche scheint die Welt, in die sie uns blicken lassen, glaubwürdige Milieus unserer Gegenwart abzubilden. Doch die Handlungsebene des Triptychons unabhängiger, aber stets mit denselben Darsteller*innen bevölkerter Episoden führt in eine Schattenzone zwischen antiker Tragödie und absurdem Theater. In den zunächst rätselhaften sozialen Konstrukten, in denen sich die Figuren bewegen, muss man sich als Betrachter erst zurechtfinden. Die wunderbare Besetzung – allen voran Jesse Plemons und Emma Stone – macht allerdings selbst das merkwürdigste Verhalten der Figuren nachvollziehbar, während Jerskin Fendrix' Score mit mahnenden bis klagenden Chören der Atmosphäre etwas Archaisches verleiht.

Der Song »Sweet Dreams« der Eurythmics läutet den Film ein, bevor in der ersten Episode Plemons als Angestellter Robert offensichtlich alles tut, um seinem Chef (Willem Dafoe) zu gefallen. Und dieser bestimmt buchstäblich alles, was sein Angestellter tut. Morgendliche Karteikarten geben die Anweisungen für den Tag, von der Kleidung über die Ernährung bis hin zum Beischlaf mit seiner Frau (Hong Chau). Als Robert durch eine einzige Widerrede in Ungnade fällt, beginnt sein verzweifelter Kampf um ein eigenes Leben. Die zweite Episode erzählt von einem Polizisten (Plemons), der den Verlust seiner Frau (Stone) zu verarbeiten versucht. Als die nach einem Schiffbruch Verschollene unerwartet zurückkehrt, ist er jedoch bald überzeugt, es handle sich gar nicht um seine echte Frau, denn plötzlich isst sie gern Schokolade, die sie immer gehasst hat, und ihre Schuhe passen auch nicht mehr. Die letzte Erzählung begleitet zwei Angehörige einer Sekte um Guru Omi (Dafoe), die auf der Suche nach einem besonders begabten Menschen sind: Er soll Tote zu neuem Leben erwecken können. Emily (Stone) gerät in Konflikt mit der Gemeinschaft, findet jedoch auf eigene Faust eine Tierärztin (Qualley), die die gesuchte Heilsbringerin sein könnte.

Auf ihre eigenwillige Weise kreisen diese Geschichten um allgegenwärtige Themen: Abhängigkeit und Verlust, Machtverhältnisse und Willkür, Entfremdung und Wahn, kurz: die weniger schönen Seiten menschlicher Beziehungen, letztlich aber auch um die Frage, was Menschen überhaupt antreibt. »Everybody is looking for something . . .« 

Die blanke, zynische und immer wieder blutige Konsequenz, mit der der Film seine Situationen zu Ende denkt, steht dabei in reizvollem Gegensatz zu den vielen irrwitzigen Wendungen, lustvollen satirischen Seitenhieben (auf neoliberale Praktiken ebenso wie auf Reinheitsideologien der Esoterik) und verspielten Details wie etwa der Sandalenmode der Sektierer (Omi trägt seine mit Strümpfen). Rätselhafte Querverbindungen zwischen den Episoden, etwa ein Herr mit den Initialen R.M.F., sind für sich genommen vermutlich sinnfrei, nehmen jedoch die klassische Dramaturgie von Episodendramen aufs Korn. »Kinds of Kindness« bezieht sich sowieso vielfach auf Filmgeschichte, zum Beispiel auf Episoden-Horrorfilme der 1960er und 70er Jahre wie »Außergewöhnliche Geschichten« oder, in der zweiten Episode, die Paranoia diverser Körperfresser-Filme. 

Man kann an »Kinds of Kindness« also durchaus Spaß haben, wenn man nicht allzu allergisch auf abgeschnittene Finger in Bratpfannen oder Großaufnahmen von Erbrochenem auf nackten Füßen reagiert. Lanthimos' Lust an der Provokation wird hier vielleicht mehr noch als zuvor zu einem spielerischen »Theater der Grausamkeit«, das ebenso aggressiv, wie es mit seinen Figuren umgeht, auch unsere eigenen Erwartungen an filmische Erzählungen und die »Moral von der Geschicht'« adressiert und zerlegt – zynisch im klassisch philosophischen Sinne. Sweet dreams are made of this?

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