Kritik zu Poor Things

© 20th Century Studios

Yorgos Lanthimos hat mit seiner Alasdair-Gray-Adaption seinen ­vielleicht gefälligsten Film bislang gedreht: In Venedig ausgezeichnet mit dem Goldenen Löwen und bei den Golden Globes sieben Mal nominiert, ist er einer der Favoriten der »Awards Season«

Bewertung: 3
Leserbewertung
5
5 (Stimmen: 1)

Seine bisherigen Filme waren alle nicht ohne Humor, aber so richtig etwas zu Lachen gab es weder in »Dogtooth« noch in »The Killing of a Sacred Deer« oder »The Favourite«. Mit »Poor Things« kommt Yorgos Lanthimos dem Genre Komödie nun näher als je zuvor. Den Unterschied machen weder visuelle Gags noch Dialogpointen aus, sondern die Einstellung gegenüber dem Kinobesucher. Wo »Dogtooth« oder »The Lobster« es noch ganz darauf abgesehen hatten, dem Zuschauer zwiespältige, durchaus auch unwohle Gefühle zu bereiten, lädt »Poor Things« direkt zum Amusement ein.

Das ist das Geheimnis dieser Adaption einer Parodie auf die viktorianische »Gothic Novel« vom schottischen Autor Alasdair Gray, geschrieben 1992: dass sie so viel Spaß macht, obwohl sie von wirklich grausamen Dingen handelt. Eine davon ist die Genese der Hauptfigur Bella Baxter (Emma Stone), deren pietätlose Details erst nach und nach enthüllt werden. Bis dahin überwiegt bereits die Komplizenschaft, die man mit der sympathisch als temperamentvolles Kleinkind auftretenden Frau eingeht, so dass man keinen Anstoß mehr nimmt. 

Bella scheint zwar die liebevoll behandelte Tochter im Haushalt von Dr. Godwin Baxter (Willem Dafoe) zu sein, dem am Vorbild von Mary Shelleys »Frankenstein« angelegten »Doktor« mit Neigung zur experimentellen Chirurgie, sie ist aber nur eines seiner vielen »Monster«. Hunde mit Schwanenhälsen, Ziegen mit Entenschnäbeln und Hühner mit Mopsgesicht bevölkern das Anwesen und zeugen vom operativen Geschick des Mediziners, der sich von Bella »God« nennen lässt. Was sonst den Anklang von Missbrauch in sich tragen würde, ist hier nur ein Running Gag. Denn »God« gebärdet sich als ausgesprochen sanfter und rücksichtsvoller »Mad Scientist«. Die eigene Opfer-Erfahrung ist ihm im wahrsten Sinn des Wortes ins Gesicht geschrieben, das mit Wülsten und Operationsnarben dem eines klassischen Frankenstein-Monsters gleicht. Während er mit Assistent Max (Ramy Youssef) pedantisch Bellas Entwicklung misst, beobachtet und registriert, erzählt er immer wieder von den grauslichen Experimenten, die sein eigener Vater an ihm verübt hat. Alles für den wissenschaftlichen Fortschritt, weshalb er auch noch die sadistischste Folter ungerührt als neutrales Stillen von Wissensdurst schildert. Einzig die melancholische Grundstimmung, die Willem Dafoe seinem Godwin Baxter verleiht, zeugt vom Trauma solcher Kindheitserfahrungen.

»Poor Things« wurde bei der Premiere in Venedig als Emanzipationsdrama gepriesen, mit Emma Stones Bella im Zentrum, die in einer viktorianisch inspirierten Fantasy-Landschaft – großartiges Produktdesign von Fiona Crombie, wunderbar desorientierend aufgenommen vom »Fisheye-Spezialisten« Robbie Ryan – aufwächst und über das Sammeln von sexuellen Erfahrungen zu einem befreiten Selbst findet. Der springende Punkt dabei ist, dass ihr »Aufwachsen« ein rein geistiges ist, denn in Wahrheit verfolgen Godwin und Max und mit ihnen die Zuschauer das Erwachsenwerden eines kindlichen Gemüts in einem immer schon erwachsenen Frauenkörper. Man kann sein Vergnügen haben an Stones clownesken Bemühungen, mit dem Körper einer 34-Jährigen den staksenden Gang einer Zweijährigen nachzuahmen oder mit der Zerstörungslust eines Kleinkinds auf Leichenteile einzuhacken. Bald entdeckt sie dank eines Apfels die eigene Orgasmusfähigkeit, und kurz darauf wird mit dem von Mark Ruffalo gespielten Lebemann Duncan Wedderburn ein Verführer vorstellig, der Bella auf eine Reise quer durch Europa mitnimmt. Dort exploriert sie ihre Sexualität weiter, zum Missvergnügen ihres bald völlig in sie verschossenen Begleiters. 

Im Kern wird »Poor Things« hier zur Pa­rodie auf den erotischen Roman à la »Fanny Hill«, in dem die männliche Fantasie der naiven, deshalb sexuell befreit auftretenden Kindfrau als emanzipatorisch ausgegeben wird. In dieser Tradition macht sich Bella selbstständig, indem sie in einem Pariser Bordell jobben geht. So bleibt die Perspektive in »Poor Things« auf den weiblichen Körper und Sex eine stark männlich bestimmte. Nur dass die männlichen Helden, allen vo­ran Ruffalos sensationell empfindsames Porträt eines Hallodris, schlecht wegkommen. Es sei denn, sie machen sich zum Verbündeten der Heldin.

Meinung zum Thema

Kommentare

Natürlich hat der Film *auch* stark feministische Themen, z.B. wenn Puffmutter und Bella über wachsendes Freiheitsbewusstsein bei Bella sprechen, nicht nur was Sexualität angeht. Wichtiger scheinen mir aber die Anspielungen auf LGBTQ-Themen zu sein, wenn Bella ihre neue Sexualität entdeckt und ausprobiert. Ihre Männer und Kunden bleiben Witzfiguren - die von Marc Ruffalo gespielte aber wenigstens mit eigenem Inhalt.

Diesen Film fand ich an keiner Stelle witzig ,sondern durchgehend dramatisch und gehe davon aus,dass es die Intension des Regiseurs war, das Grausame durch kroteske Darstellung verdaulich zu machen. Nebenbei sollten die Kinokassen klingeln, dazu dient der ausgiebige Fokus auf Erotik á la Hamilton,bis hin zu pornographische Szenen im missbräuchlichen Rahmen. Für mich bewegt sich die Hauptfigur Bella bis zum Schluss in einem engen und vorgegebenem Konstrukt. In den meisten Kritiken wird ein feministischer Ansatz beklatscht und sogar von Emanzipiertheit geschrieben.....von kleinesten Bewusstseinsblitzen abgesehen,sind es bei Bella fast ausschliesslich Willensabsichten,die zu Handlungen führen und im sexuellen Bereich decken sich ihre Bedürfnisse erstaunlich schnell mit männlicher rein- raus Struktur, was von vielen Kritikern offenbar als Selbstverwirklichung verstanden wird. Ich sehe nichts Ikonenhaftes, sondern wirklich ein armes Ding, was sich nicht adäquat zu schützen weiss.
Mich erinnert diese weibliche Frankensteinfigur vom selbstschädigendes Verhalten her, ans autistischen Spektrum.
Die Verbindung zwischen sadistischem Vorgehen unter wissenschaftlichem Deckmantel durch die Vaterfigur und dem entsprechend eiskalten Chirurgensohn, sowie Bella, die seltsam seelen und furchtlos scheint, macht betroffen. Die Puffmutter hat leichtes Spiel ,wie bei einem ehemals kindlichen Missbrauchsopfer...Bellas selbstgewählte Kleidung nach ihren Erfahrungen im Etablissement ,lässt untenherum viel erkennen und signalisiert,dass sie sich weiterhin als Objekt der Begierde anbietet, während oben herum eine Mischung aus Schneewittchen und Frida Kahlo assoziiert werden soll...allesamt unerlöste, an ein Mannsbild gefesselte Frauenfiguren. Am Schluss darf sich die Protagonistin rächen,aber ein eigenes,erfülltes Leben führt sie nicht. Sie möchte Ärztin werden und versteht darunter auch nur das Herumbasteln an menschlichem Material. Der Mann an ihrer Seite ist ein unreflektierter Hiwi und gibt narzistischen support - keine Entwicklung ,die als Meilenstein aus feministischer Sicht zu werten wäre! Der Film ist eine bitterböse Satire,eingebettet in kitschig anmutende Bilderwelten,die den Sinnen der Kinobesucher schmeicheln sollen. Verherrlichte , abstrahierte Weiblichkeit als Männerphantasie steht zur Disskussion.

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