Yorgos Lanthimos über seinen Film »The Favourite«
Yorgos Lanthimos am Set von »The Favourite« (2018)
Herr Lanthimos, anders als bei Ihren vorangegangenen Filmen stammt bei »The Favourite« das Drehbuch nicht von Ihnen und Efthymis Filippou. Wie nahm der Film seinen Anfang?
Ich bekam das ursprüngliche Drehbuch von Deborah Davis in die Hände und war auf Anhieb fasziniert, denn ich hatte das Gefühl, so etwas noch nie gelesen zu haben. Die Geschichte von drei mächtigen Frauen mit komplizierten Persönlichkeiten und Beziehungen untereinander, die in jener Zeit nicht nur das Schicksal eines ganzen Landes, sondern auch eines Krieges in den Händen hielten – so etwas ist im Kino ja nicht gerade an der Tagesordnung.
Sie haben dann allerdings noch einen weiteren Autoren dazu geholt, nicht wahr?
Das ist richtig. Dass Davis das Drehbuch schrieb, ist 20 Jahre her, doch das Projekt kam lange nicht vom Fleck. Als ich dann Interesse zeigte, machte ich mich zunächst daran, gemeinsam mit ihr, das Skript zu überarbeiten. Wir strukturierten die Geschichte um und konzentrierten uns zum Beispiel noch mehr auf die drei Protagonistinnen. Doch ich spürte auch, dass es noch eine weitere, eine andere Stimme bräuchte, um das meiste aus diesem Stoff herauszuholen. Ich las hunderte Drehbücher und Theaterstücke, um eine Stimme zu finden, die mir vorschwebte. So stieß ich auf Tony McNamara in Australien.
Und dann ging alles ganz schnell?
Oh nein! Wir schrieben das komplette Drehbuch um, meistens kommunizierten wir dabei über Skype oder Email. Letztlich dauerte es sieben oder acht Jahre, bis ich dann mit dem Dreh begann.
Der Film ist ziemlich amüsant, bei den Golden Globes konkurriert er nicht umsonst in der Komödien-Kategorie. War der Humor von Beginn an so geplant?
Der richtige Tonfall fand sich, sobald ich Tony fand. Ich hatte schon einen sehr bestimmten Stil und diesen bösen Witz im Sinn, aber erst mit ihm ließ er sich zu Papier bringen. Ob man den Film nun als Komödie beschreiben möchte oder als Drama, überlasse ich anderen. Ich selbst halte nichts von solchen Regeln und Schubladen.
Für einen Kostümfilm wirkt »The Favourite« sehr frisch und modern. Wie haben Sie da die richtige Balance gefunden?
Uns war wichtig, dass der Film fest in der Zeit verankert ist, in der er spielt, aber eben trotzdem erkennbar einen Bezug zu unserer heutigen Welt hergestellt ist. Deswegen haben wir uns zum Beispiel früh entschieden, dass wir nicht auf Teufel komm raus versuchen wollen, eine Sprache zu kreieren zu wollen, die womöglich damals so geklungen haben könnte. Stattdessen klingen die Dialoge jetzt eben moderner. Bei den Kostümen gingen wir ähnlich vor: die sehen zwar auf ersten Blick aus wie von damals, doch wir haben Materialien von heute dafür verwendet. Und an anderen Stellen, etwa bei der Musik oder auch bei den Kostümen, haben wir teilweise auch sehr offensiv auf moderne Elemente gesetzt.
An historische Korrektheit haben Sie keinen Gedanken verschwenden?
Mir ging es darum jedenfalls nie – und ich glaube auch, dass der Film von Anfang vermittelt, dass es hier nicht darum geht, ein akkurates Geschichtsbild zu vermitteln. Nicht dass wir nicht recherchiert hätten, im Gegenteil. Aber wir haben eben ganz bewusst entschieden, welche Informationen wir für unsere Zwecke nutzen und welche wir ignorieren. Insgesamt würde ich sagen, dass wir nichts vollkommen auf den Kopf gestellt, sondern die Realität eher ein wenig überhöht haben. Denn es war zu Zeiten von Königin Anne tatsächlich so, dass die Frauen vergleichweise schlicht gekleidet und frisiert waren, während die Männer High Heels, Perücken und Make-up trugen. Vielleicht nicht immer ganz so glamourös wie bei uns im Film. Aber selbst da wäre ich mir nicht so sicher. Immer wenn wir dachten, eine bestimmte Perücke sei vielleicht doch ein wenig zu dick aufgetragen, fanden wir irgendwo ein Gemälde, auf dem ein Mann tatsächlich fast genau so aussah.
Haben Sie eine bestimmte Methode, wie Sie bei der Besetzung der Rollen in Ihren Filmen vorgehen?
Nichts, was sich konkret beschreiben lässt. Ich gehe eher instinktiv vor und denke an Schauspieler, die ich mag und mit denen ich schon länger mal arbeiten wollte. Und besonders gerne mag ich es, Schauspieler*innen in Rollen zu setzen, die auf den ersten Blick nicht unbedingt zu ihnen passen. In diesem Fall waren Olivia Colman und Rachel Weisz eine nahe liegende Wahl, denn mit beiden hatte ich schon bei »The Lobster« zusammengearbeitet. Emma Stone war einfach jemand, die ich für die Rolle sehr spannend fand. Es dauerte eine ganze Weile, bis alle drei gleichzeitig zeitlich verfügbar waren, deswegen mussten wir mit den Dreharbeiten eine ganze Ecke warten. Aber ich war nicht bereit dazu, auf eine der drei zu verzichten.
In der Fokussierung auf die drei Frauen an den Schalthebeln des Hofes und der Darstellung der Männer als schwache bis lächerliche Figuren wirkt »The Favourite« wie gemacht für unsere Zeit. Sahen Sie diese Relevanz der Geschichte voraus?
Das kann ich mir nicht wirklich auf die Fahnen schreiben. Es war einfach persönliches Interesse, warum ich schon vor acht Jahren Lust darauf hatte, einen Film über mächtige Frauen zu erzählen. Das können Sie fortschrittlich finden, aber eine gesellschaftliche Entwicklung habe ich nicht dezidiert vorhergesehen. Aber das ist auch gar nicht wichtig. Filme werden schließlich immer in dem Kontext jener Zeit wahrgenommen, in der sie gesehen werden. Die Intentionen, die jemand Jahre vorher während der Entstehung hatte, sind zweitrangig.
Auf jeden Fall ist es interessant, dass Sie mit dem Film nun mehr denn je ins Rennen um den Oscar und andere Filmpreise gehen. Haben Sie gezielt versucht, dieses Mal mehr im Mainstream anzukommen als mit Ihren vorherigen Werken?
Nein, wir hatten es weder auf ein großes Publikum noch auf Preise abgesehen. Ich habe den Film mit den gleichen Produzenten umgesetzt wie die Filme davor, und auch was die künstlerische Kontrolle angeht, habe ich von meiner Vision kein bisschen weniger einbüßen müssen als sonst. Der einzige Unterschied war, dass wir relativ früh ein kleines Studio mit ins Boot holten, weil »The Favourite« durch das historische Setting eine Ecke teurer war als meine anderen Filme. Aber ich hatte alle Freiheiten, die ich auch sonst in meiner Arbeit gewohnt bin.
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