06/2022
In diesem Heft
Tipp
Berlin, 15.–29.6. – In Kooperation mit fünf Berliner Freiluftkinos und den jeweiligen Filmverleihern zeigt das Festival eine Auswahl der Highlights des Berlinale-Programms 2022. Nach den pandemiebedingten »Berlinale Summer Specials« im letzten Jahr gibt es so nun ein neues Format, das das beliebte »Berlinale Goes Kiez« der vorherigen Jahre erweitert. Den Auftakt macht der Gewinner des Goldenen Bären »Alcarràs« von Carla Simón, der mittlerweile in Spanien zum Publikumshit wurde.
Hamburg, 19.6. – Einmal im Jahr zeigen alle Hamburger Kinos einen Filmklassiker, der mit Hamburg verbunden ist. Kombiniert wird dies mit einer Tour verschiedener Beteiligter durch die Veranstaltungsorte sowie einem Rahmenprogramm mit Ausstellung und Begleitfilmreihe. Dieses Jahr läuft Klaus Lemkes »Rocker« (BRD 1972) – der »deutsche Easy Rider« feiert sein 50-jähriges Jubiläum.
Frankfurt am Main, 17.–19.6. – Zum 17. Mal beschäftigt sich der Bundeskongress mit der Geschichte der kommunalen Kinos und deren Weiterentwicklung für die Zukunft. Neben Vorträgen, Lesungen und Debatten gibt es sechs Filmprogramme, präsentiert von verschiedenen Frankfurter Institutionen. So wird etwa »Geographies of Solitude«, der Gewinner des Caligari-Preises 2022, gezeigt.
München, 23.6.–2.7. – Mit rund 120 Filmen geht Deutschlands größtes Sommer-Filmfestival an den Start. Begonnen wird in der neuen Isarphilharmonie mit Corsage, in dem Marie Kreutzer ein völlig neues Bild von Kaiserin Elisabeth – Sisi – zeichnet. Auch das parallel stattfindende Kinderfilmfest meldet sich zurück und zeigt zum Auftakt am 24.6. die Uraufführung der neuen Kinderbuchadaption »Der Räuber Hotzenplotz«.
Berlin, Hamburg, Leipzig, 13. – 26.6. – Initiiert von der Deutschen Kinemathek Berlin gibt es eine Filmreihe mit sechs ausgewählten Filmen von ukrainischen Regisseur*innen, die für zwei Wochen in Berlin, Hamburg und Leipzig zu sehen sein wird. Zusammengestellt wurde die Reihe von den ukrainischen Kuratorinnen Viktoria Leschtschenko und Julia Kowalenko, die in leitender Funktion für das DocuDays Ukraine Filmfestival in Kiew arbeiten.
Umfassend und gut lesbar: Eine Geschichte des deutschen Dokumentarfilms. Von den Anfängen bis zur Gegenwart.
Erinnerungen und Fotografien von Roger Fritz, dem etwas anderen Vertreter des Neuen Deutschen Films. 235 Porträtfotografien und 80 persönliche Erinnerungen von den 50er Jahren bis heute.
Spritztour durch ein Jahrzehnt: Der Taschen-Band über die »Die Filme der 2010er«.
Es fehlte lange an ästhetischem Bewusstsein: Ein Sammelband mit Texten aus dem »Sissy«-Magazin feiert das queere Kino.
Genre-Mix: Das Mediabook des russischen Films »No Looking Back« von Kirill Sokolov.
Brutale Geschäfte: Das packende Epos »Mafia Inc« aus Kanada.
Spannende Zeitgeschichte: die Doku »Kalanag – Der Magier und der Teufel«.
Das Mediabook zu »Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo«
Copkino: Jules Dassins Noir-Krimi »Stadt ohne Maske« (The Naked City).
Zeitlöcher: Das Mediabook zu Terry Gilliams »Time Bandits«.
Die ZDF-Produktion »Becoming Charlie« erzählt in flotter Manier über Geschlechterrollen und -identitäten.
Die HBO-Serie »The Staircase« blättert den Kriminalfall Kathleen Peterson noch einmal auf, mit Colin Firth als mordverdächtigem Ehemann.
Land des Schweigens und der Dunkelheit: Die ZDF-Koproduktion »Hide and Seek« erzählt sinister aus der Vorkriegs-Ukraine.
Shawn Levys Familienkomödie »The Adam Project« über einen Zeitreisenden erweist sich als unterhaltsame »Zurück in die Zukunft«-Hommage.
»Becoming Elizabeth« mit der Münchenerin Alicia von Rittberg in der Titelrolle stellt die toxischen Machtverhältnisse des 16. Jahrhunderts heraus.
Bruno Dumonts Film ist eine grimmige Satire auf die Obszönität von Medienwelt und Berühmtheitskult. Mit der Sendung »Ein Blick auf die Welt« ist die Fernsehjournalistin France de Meurs (Léa Seydoux) zum Star und heiß begehrten Selfie-Objekt geworden. Nach einem Verkehrsunfall wird der Blick, den sie auf ihr Leben richtet, unversehens fragender. Der Regisseur schickt sie auf einen Kreuzweg, an dessen Ende keine Läuterung versprochen ist.
In »The Rising«, einem Remake der belgischen Serie »Zimmer 108«, will ein Mordopfer die Hintergründe des eigenen Todes herausfinden.
Mit der packend als Mischung aus Dokumentar- und Animationsfilm erzählten Fluchtgeschichte »Flee« gelang dem dänischen Regisseur Jonas Poher Rasmussen 2021 die Oscarnominierung in gleich drei Hauptkategorien.
Fast 50 Jahre lang war Moderator und DJ Jimmy Savile der Darling der Briten. »Jimmy Savile: A British Horror Story« erzählt vom Abgrund hinter der Fassade.
Danny Boyle erzählt in »Pistol« die Geschichte der Sex Pistols noch einmal nach – unter Verwendung der Originalmusik.
Drehbuchautorin Laila Stieler spricht am 21.6. im Kino des Deutschen Filmmuseums mit epd-Film-Autor Ulrich Sonnenschein über »Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush«.
Thema
Selbst im Krieg ist die Reporterin France im neuen Film von Bruno Dumont modisch stets auf der Höhe. Im Interview spricht der Regisseur über die Abgründe unserer Medienkultur.
Ist Nicolas Cage verloren im Direct-to-Video-Sumpf? Hat er sich ins Nirvana gespielt? Und wann war er eigentlich gut? Zum Start von »Massive Talent« meint Kai Mihm: Da muss man nochmal hinschauen.
In ihrem neuen Film »A E I O U« spielt sie eine gesettelte Frau, die sich in einen 17-jährigen Handtaschendieb verliebt. Passt ins Bild: Sophie Rois findet man immer auf Um- und Abwegen. Ein Porträt.
Meldung
Zwei Jahre konnte das dem mittel- und osteuropäischen Film gewidmete Wiesbadener goEast-Festival nur digital stattfinden, in diesem Jahr musste es sich einer neuen Herausforderung stellen: dem Ukraine-Krieg.
Nach den durch Corona bedingten Onlineausgaben 2021 und 2022 kehrten die 68. Kurzfilmtage von Oberhausen wieder ins Kino zurück – allerdings hybrid, mit zwei vorgezogenen Netzwettbewerben.
Birte Schnöink 38, Schauspielerin, arbeitet viel am Theater (Basel, Thalia Hamburg), hatte Hauptrollen in »Amour fou« (Jessica Hausner) und »Die Einzelteile der Liebe« (Miriam Bliese). Ihr neuer Film »Zum Tod meiner Mutter« startet am 9.6.
Fast wieder wie früher, dabei aber doch ganz neu: das Crossing Europe Filmfestival in Linz zeigte anspruchsvolles Autorenkino.
Endlich wieder Kino: Nach zwei fast ausschließlichen Onlineausgaben konnte das DOK.fest München in diesem Jahr in seine Partnerkinos zurückkehren
Schon mit seinem Spielfilmdebüt »Auf Anfang« (2006) gewann der 1974 in Kopenhagen geborene und in Oslo aufgewachsene Trier als bester Regisseur in Karlovy Vary. Seinen zweiten Film, »Oslo, 31. August« (2011), stellte er in Cannes in der Sektion »Un Certain Regard« vor, sein englischsprachiges Debüt »Louder Than Bombs« (2015) dann bereits im Wettbewerb um die Goldene Palme, wie auch »Der schlimmste Mensch der Welt« (2021), der zwei Oscarnominierungen erhielt und mit Renate Reinsve eine Hauptdarstellerin vorstellte, die das Zeug zum Weltstar mitbringt.
Filmkritik
Ein altmodisches Buddymovie à la française mit authentischem Hintergrund, der von den beiden Hauptdarstellern selbst geschrieben und inszeniert wurde.
Nach dem Tod der Großmutter kommt der neunjährige Roman aus der Ukraine nach Deutschland, wo seine Mutter als Pflegerin illegal für den Rentner Gert arbeitet. Marcus Lenz erzählt mit Psychothriller-Anleihen von den Unsicherheiten des Erwachsenwerdens, von Mutterliebe und davon, Grenzen zu überwinden.
Die fünfte Jussi-Adler-Olsen-Verfilmung verheddert sich in einer wahllos zerklüfteten Story und weiß keinerlei Spannung zu erzeugen. Auch das neue Darstellerduo Ulrich Thomsen und Zaki Youssef bleibt dabei bedauernswert blass.
Max Fey erzählt in seinem Regiedebüt von einer Mutter, die ihrem autistischen Sohn ein autonomes Leben ermöglichen will. Das Drehbuch wirft Fragen auf; die Besetzung überzeugt, ebenso die Inszenierung in den intimeren Momenten.
Nach einer wahren Geschichte erzählt der Film von einem japanischen Soldaten, der bis 1974 auf einer philippinischen Insel im Kriegszustand verharrt, weil er nicht glauben mag, dass der Zweite Weltkrieg längst zu Ende ist. Was als verhalten erzählte Studie in Verblendung beginnt, gerät an seine Grenzen, wenn beim zweimaligen Akt des Tötens von Zivilisten die Distanz in Gleichgültigkeit umschlägt.
Thomas Oswald gelingt das kontemplative Porträt dreier Tourettepatienten, die in der Einöde Lapplands eine neue Therapie gegen Tics erproben.
Nicholas Cage spielt eine fiktionalisierte Version seiner selbst in dieser überdrehten Actionkomödie. Als tollpatschiger Schauspieler wird er von der CIA angeheuert, um einen Waffenhändler zu überführen. Als episodenhafte Hommage an den Komödienschauspieler Cage funktioniert »Massive Talent« zeitweise, als eigenständiger Film eher weniger.
In einer virtuellen Welt wächst ein schüchterner Teenager nicht nur über sich hinaus, sondern kann auch die ganz reale Welt zu einer besseren machen. Ein rasanter, knallbunter, tiefgründiger und nur teils überladener Anime des Japaners Mamoru Hosoda.
Antoine ist fast taub, was er bislang eigentlich gut verdrängen konnte. Als seine Mitmenschen nicht mehr mitspielen, eröffnen ihm Hörgeräte ein völlig neues Leben und die Chance auf die große Liebe. Generische Liebeskomödie, die sich in Klischees und uninspirierten Bildern verliert.
Als der lebenslustige, agile Erik in Pension geht, finden er und seine zunehmend an Multipler Sklerose leidende Frau keinen gemeinsamen Weg. Einfühlsam und doch seltsam distanziert erzählt Wendla Nölle von diesem bis dahin scheinbar so glücklichen Paar. Großartig: Dagmar Manzel.
Eine unwahrscheinliche Liebesgeschichte zwischen einer gereiften Dame und einem linkischen Jungen erzählt Nicolette Krebitz in ihrem vierten Film auf so schwebend verspielte und poetische Weise, dass sich irdische Fragen nach der Wahrscheinlichkeit gar nicht erst stellen.
Julie will vieles sein, alles lieben und ein intensives Leben führen. Immer so lange, bis sie sich selbst in den jeweiligen Rollen überdrüssig wird. Zunächst dreht sich alles um Aksel. Dann trifft die junge Norwegerin auf Eivind; Kinderwünsche kollidieren mit dem Ekel vor der Kernfamilie und dem Hass auf den eigenen Vater. Regisseur Joachim Trier trifft mit seinem Liebesfilm die Gegenwart ins Herz, vorbei an Kitsch und abgedroschenen Klischees: bezaubernd und tiefsinnig.
Bruno Dumonts Film ist eine grimmige Satire auf die Obszönität von Medienwelt und Berühmtheitskult. Mit der Sendung »Ein Blick auf die Welt« ist die Fernsehjournalistin France de Meurs (Léa Seydoux) zum Star und heiß begehrten Selfie-Objekt geworden. Nach einem Verkehrsunfall wird der Blick, den sie auf ihr Leben richtet, unversehens fragender. Der Regisseur schickt sie auf einen Kreuzweg, an dessen Ende keine Läuterung versprochen ist.
Der dritte Teil einer Trilogie über das Leben in einer kleinen Hafenstadt in Kalabrien: Jonas Carpignano begleitet das Coming of Age eines fünfzehnjährigen Mädchens, aufwühlend unmittelbar gespielt von Swamy Rotolo, die zusammen mit ihrem Vater und ihren beiden Geschwistern eine fiktive Version ihres Lebens in einer kleinen, von der Mafia kontrollierten kalabrischen Hafenstadt spielt.
Mehr filmisches Handwerk als Kunst ist dieses minimalistische Krimikammerspiel mit Theaterstar Mark Rylance als Maßschneider für die Mafia, allein schon durch den ausgetüftelten Plot ein spannendes Vergnügen.
Eine dokumentarische Bestandsaufnahme von Bestrebungen zur »Life Extension«, die an zu enger Auswahl ihrer Stichwortgeber und der Besetzung des einzigen Antagonisten krankt.
In ihrem autobiografisch motivierten Film gelingt Jessica Krummacher ein kunstvoll unpoetisches Sterbedrama ohne melodramatische Überhöhung.
Fern und Dave treffen beim Gassigehen mit ihren Hunden aufeinander und bald mögen sie sich; doch sind sie nicht schon zu alt für die Liebe? Jedenfalls wird diese mit den Jahren nicht unkomplizierter – wie hier ebenso einleuchtend vor Augen geführt wird wie die jederzeitige Möglichkeit des Glücks.
Bússi (er heißt tatsächlich so!) ist der härteste Cop in Reykjavik, muy macho, schnelles Auto, schnell mit der Waffe, ein Supercop. Von dieser Spezies gibt es allerdings auf Island noch ein zweites Exemplar – und die beiden müssen in einer rätselhaften Banküberfallserie zusammenarbeiten. Reykjavik sieht aus wie New York in dieser gelungenen Parodie auf Actionfilme, Buddymovies und die Serien der 80er.
Als die Familie wegen des Todes der Mutter einen Urlaub in Acapulco abbricht, bleibt ihr Sohn zurück – angeblich wegen seines vergessenen Passes, nutzt er die neue Freiheit zum Abhängen. Oder führt er in Wirklichkeit etwas im Schilde, was mit dem Familienerbe zu tun hat? Der Film lässt bis zum Ende offen, wie sein Protagonist mit dem Verbrechen, das später passiert, in Verbindung steht: für Krimifans frustrierend, gewinnbringend für Zuschauer, die Ambivalenzen aushalten können.
Eigentlich will Joscha nur einsam durch das nächtliche Köln streifen und sich verlieren. Doch immer wieder halten ihn Bekanntschaften von seinem Weg ab. Gedreht in einem Take, will der Film ein Lebensgefühl erkunden und ermüdet dabei durch seine aufdringlich-behauptete Traurigkeit.
Angelehnt an den juristisch gesehen ersten homophoben Mord Belgiens erzählt Nabil Ben Yadir in seinem radikalen filmischen Triptychon von Hass und Homophobie. Ein formal starker Film mit Haltung, der wehtut, um Augen zu öffnen.
Basierend auf einer wahren Geschichte erzählt John Madden in »Die Täuschung« von einem britischen Ablenkungsmanöver im Zweiten Weltkrieg, das die Nazis auf eine falsche Fährte locken sollte. Entstanden ist dabei altmodisches Unterhaltungskino mit einer starken Besetzung, das aber selten so faszinierend ist wie die realen Ereignisse, die hier als Vorlage dienten.
Gewartet hat auf dieses späte Sequel niemand, und eine sichere Bank war »Top Gun: Maverick« kaum. Doch Tom Cruise, Regisseur Joseph Kosinski und den Drehbuchautoren gelingt eine erstaunlich gute Mischung aus nostalgischen Referenzen an früher und neuen Elementen. Frei von Kitsch und Pathos ist der Film erwartungsgemäß nie, doch gepaart mit spektakulärer Actionszenen in Hochgeschwindigkeits-Kampfjets, flottem Tempo und einer klassischen Superstar-Performance von Cruise wird daraus im besten Sinne klassisches Blockbusterkino, wie man es kaum noch zu sehen bekommt.
In der neuen Auskoppelung des Marvel-Universums reist Magier Dr. Strange im Kampf gegen Hexe Wanda durch Parallelwelten und begegnet seinen alter egos: ein bildgewaltiger, reuelos eskapistischer Nonsense, der viel Spaß macht.