Kritik zu Rivale
Eine Art Integrationsgeschichte: Ein Junge aus der Ukraine findet nur schwer ins Zusammenleben mit der in Deutschland als Pflegehilfe arbeitenden Mutter
Es kann nichts Gutes verheißen, wenn ein Film mit einem toten Vogel beginnt. Der neunjährige Roman (Yelizar Nazarenko) findet den Piepmatz auf einem Feld im ukrainischen Hinterland und vergräbt ihn andächtig. Mit dieser Szene, die gegen Ende von Rivale aberwitzig gespiegelt wird, führt Regisseur Marcus Lenz uns bereits aufs Glatteis der kommenden 90 Minuten: Ist Roman der unschuldige Vogel auf dem Weg in sein Verderben, wie man meinen könnte? Oder stehen die Zeichen doch anders? »Rivale« ist ein Film, der seine Spannung aus dem Diffusen zieht.
Am Anfang steht eine Reise. Denn als die Großmutter stirbt, wird Roman ins Auto eines Schmugglers gepackt, der den Jungen illegal nach Deutschland verfrachtet. Dort empfängt ihn Mutter Oksana (Maria Bruni) mit offenen Armen. Die lebt bei Gert (Udo Samel), dessen Frau sie bis zum Tode gepflegt hat, ist ebenfalls illegal in der Bundesrepublik und dem Rentner in ihrer Abhängigkeit mehr als eine Pflegerin.
Lenz inszeniert seinen Film als Kammerspiel mit Psychothriller-Anleihen. Es wabert auf der Tonspur, während wir dem Jungen die meiste Zeit durch geschlossene Räume folgen: erst im Auto des Schmugglers, dann durch Gerts Wohnung, später durch dessen abgelegenes Waldhaus. Kameramann Frank Amann fängt das Treiben in bedrohlich ruhigen Bildern ein, holt das Gesicht des Jungen immer wieder nahe ran und findet in der Natur, etwa mit Großaufnahmen von Ameisen, visuelle Entsprechungen für dessen animalische Seite. Die Tapete in Romans Zimmer zeigt einen wilden Wald.
Der Junge ist nicht einfach das Opfer, er brodelt vor Wut. Er schreit herum, wie es Benni in Nora Fingscheidts »Systemsprenger« getan hat, schneidet den geliebten Barbiepuppen der verstorbenen Frau die Haare ab, nachdem er Oksana und Gert im Bett erwischt hat, und versucht den Rentner sogar zu vergiften. Es ist der radikale Kampf des heimatlosen Jungen um die Mutter gegen einen Mann, der trotz seiner buschigen Augenbrauen und seiner moralisch fragwürdigen Haltung so ein schlechter Typ dann doch nicht ist.
»Rivale« unterminiert nach und nach vermeintliche Sicherheiten, und das mit spürbarem Genuss. Oksana bricht einmal mit schmerzverzerrtem Gesicht vor ihrem Sohn zusammen, um dann in schallendes Gelächter auszubrechen. Ein Scherz. Mit ihrem nächsten Zusammenbruch, diesmal kein Scherz, spitzt sich die Geschichte zu. Lenz erzählt von den Unsicherheiten des Erwachsenwerdens, von Mutterliebe und davon, Grenzen zu überwinden. Nebenbei laufen Probleme des deutschen Sozialsystems mit, ohne dass »Rivale« in den Modus des drögen Sozialrealismus kippt. Der Film bleibt in der Schwebe, inklusive traumhaft surrealen Sequenzen.
Mit noch mehr Mut zur Radikalität und zur Form hätte dieser Film einen größeren Sog entwickeln können. Gelungen ist er dennoch. Und mit Blick auf den Kriegshorror in der Ukraine erfährt diese, wenn man so will, Integrationsgeschichte eine ungeahnte Aktualität.
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