Interview: Joachim Trier über »Der schlimmste Mensch der Welt«
Joachim Trier am Set von »Der schlimmste Mensch der Welt« (2021). © Koch Films
Schon mit seinem Spielfilmdebüt »Auf Anfang« (2006) gewann der 1974 in Kopenhagen geborene und in Oslo aufgewachsene Trier als bester Regisseur in Karlovy Vary. Seinen zweiten Film, »Oslo, 31. August« (2011), stellte er in Cannes in der Sektion »Un Certain Regard« vor, sein englischsprachiges Debüt »Louder Than Bombs« (2015) dann bereits im Wettbewerb um die Goldene Palme, wie auch »Der schlimmste Mensch der Welt« (2021), der zwei Oscarnominierungen erhielt und mit Renate Reinsve eine Hauptdarstellerin vorstellte, die das Zeug zum Weltstar mitbringt
Herr Trier, die Themen, die in »Der schlimmste Mensch der Welt« verhandelt werden, sind Allerweltsprobleme, oder?
Joachim Trier: Kann man sicherlich so sagen, aber genau das macht sie natürlich auch interessant. Wo will ich hin im Leben, mit wem will ich zusammen sein, wo finde ich mein Glück und meine Liebe? Das sind natürlich für viele nicht die einzigen Sorgen im Leben, aber doch sehr essenzielle, die man überall kennt. Im Grunde sind sie nichts anderes als der Prozess des Erwachsenwerdens. Früher hätte man eine Geschichte wie unsere vermutlich mit einem Teenager erzählt. Aber heutzutage habe ich das Gefühl, dass viele Menschen diese Coming-of-Age-Erfahrungen erst in ihren 30ern durchmachen.
Sie haben sich für eine Protagonistin entschieden. Erleben Männer und Frauen diese Dinge auf ähnliche Weise?
Ich finde das fürchterlich schwer zu verallgemeinern und will den Film auch nicht als Statement über eine Generation verstanden wissen. Aber sicherlich gibt es viele Fragen, vor denen Männer wie Frauen stehen. Julie packt das Gefühl, der schlechteste Mensch der Welt zu sein, weil sie an einem der privilegiertesten Orte der Welt groß geworden ist, wo ihr eigentlich alle Möglichkeiten offenstehen und sie diese trotzdem irgendwie nicht nutzt. Inklusive der Tatsache, dass sie noch kein Kind hat oder will. Und zumindest letzteres ist vielleicht eine an sie herangetragene Erwartung, vor der Frauen früher stehen als Männer.
Der Film steht und fällt mit seiner Hauptdarstellerin Renate Reinsve, einer echten Entdeckung...
Die ich allerdings schon ein bisschen kannte. Denn sie spielte eine kleine Rolle in meinem Film »Oslo, 31. August«. Damals hatte sie eigentlich nur einen Satz, aber weil ich besessen davon war, das perfekte Licht in Oslo einzufangen, drehten wir an der Szene neun Tage. Seither wollte ich wieder mit Renate arbeiten, aber sie spielte vor allem Theater. Bis ich nun »Der schlimmste Mensch der Welt« in Gedanken an sie schrieb.
Was macht sie zur idealen Hauptdarstellerin?
Diese Frage beantwortet sich von selbst, wenn man den Film sieht, oder? Sie ist einfach umwerfend, und ich bin wirklich stolz darauf, was sie in dieser Rolle leistet. Für diese seltsame Version einer romantischen Komödie kam niemand anderes infrage, weil sie in ihrem Spiel problemlos das Dramatische mit Humor und Leichtigkeit verbindet. Und sie bringt eine ungewöhnliche Körperlichkeit mit. Von ihrem Gesicht über ihren Körper bis hin zum Raum um sie herum bleibt nichts für ihr Spiel ungenutzt.
Hat sie – alters- und geschlechtsbedingt – wesentlich zur Ausgestaltung der Figur beigetragen?
Das hat sie tatsächlich, allerdings nicht nur weil mein Co-Autor und ich keine jungen Frauen sind. Vielmehr arbeite ich immer so mit meinen Schauspielerinnen und Schauspielern zusammen. Es gibt zunächst eine Drehbuchfassung und eine grobe Zielvorgabe, aber die wirkliche Ausarbeitung der Figuren und Szenen erfolgt dann gemeinsam mit dem Cast in einer langen Probephase. Renate hatte viele Ideen zu ihrer Rolle, was ich sehr begrüßt habe. Denn so selbstbewusst ich durchaus in meiner Vision für meine Filme bin, so sehr hatte ich auch die Sorge, als Mann bei einer weiblichen Protagonistin vielleicht doch mal in Klischeefallen zu tappen. Gerade was die Sexszenen, weibliche Lust und auch die Macken der Figur angeht, hatte Renate großen Einfluss auf das Drehbuch und die Umsetzung.
Kann der Film auch als romantische Komödie gesehen werden?
Definitiv. Die Screwball-Komödien von Regisseuren wie George Cukor haben mich durchaus beeinflusst. Natürlich nicht mit Blick darauf, dass Katherine Hepburn in »Die Nacht vor der Hochzeit« mit der Entscheidung zwischen zwei Männern auch darüber entscheidet, welches Leben sie führen wird. Der Gedanke, dass eine Frau im Leben überhaupt einen Mann braucht, ist schließlich fürchterlich altmodisch. Aber dass sie sich durch die Begegnung mit verschiedenen möglichen Partnern darüber klarwird, wer sie eigentlich ist und was sie will, das macht »Die Nacht vor der Hochzeit« für mich zu einem existentialistischen Film – und einem Geschwister von »Der schlimmste Mensch der Welt«.
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