Mediathek: »Hide and Seek«

»Hide and Seek« (Serie, 2019). © ZDF und FILM.UA

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Land des Schweigens und der Dunkelheit

Der Vater zählt langsam bis fünf. Die siebenjährige Alina Borovko (Azalia Tkachuk) wollte Verstecken spielen, und Vater Jevgenij (Oleksandr Kobzar) folgt ihrem Wunsch. Er hat es versprochen. Ihr Spiel begibt sich in einer einfachen Wohnung in einem verkommenen Wohnblock. Die Wohnungstür ist von innen verschlossen. Trotzdem kann Jevgenij die Tochter nicht finden. Er rennt hinaus, durch Flure, ins Freie. Alina bleibt verschwunden.

Major Maxim Shumov (Pyotr Rykov) bekommt den Fall zugeteilt. Doch er spielt nur die zweite Geige, denn er ist in einen Korruptionsfall verwickelt und wurde degradiert. Varta Naumova (Yulia Abdel Fattakh), neu in der Dienststelle, gerade erst angekommen, wird seine Vorgesetzte. Die beiden sind ein ungleiches Paar, nicht in amüsantem Sinne wie Katharine Hepburn und Humphrey Bogart in »African Queen« oder Cybill Shepherd und Bruce Willis in »Moonlighting«. Viele sind korrupt in dieser Dienststelle, aber nicht alle sind käuflich. Auch Shumov nicht, aber er verhält sich loyal zu dem Kollegen Bondar, der in Drogengeschäfte verwickelt und selbst süchtig ist. Bondar soll einen Verdächtigen observieren. Er steht unter Drogen, hat sich nicht unter Kontrolle. Und wird erschossen. Varta Naumova leidet an Haphephobie, der Angst, berührt zu werden. Sie trägt fortwährend Handschuhe, ist einsilbig, eigenbrötlerisch, aber fokussiert und willensstark. Der Grund für ihre Angststörung ist traumatisch. Er wird schlaglichtartig angedeutet und von ihr selbst erst spät enthüllt.

Nach Alina verschwinden weitere Kinder. Im Web erscheint ein Videostream, der sie in einem Käfig zeigt. Sie halten Schilder mit kryptischen Koordinaten in die Kamera. Shumov verdächtigt zunächst Alinas Vater Jevgenij Borovko, aber mit den weiteren Verbrechen nimmt der Fall Wendung um Wendung. Ermittlungen führen zu einer dubiosen Sekte, in die Musikbranche, in ein Frauengefängnis. In Sackgassen und auf Irrwege.

»Hide and Seek« wurde in Enerhodar gedreht, einer in der Sowjetzeit errichteten Retortenstadt am Kachowkaer Stausee, vor der Kulisse des gigantischen Atomkraftwerks, das während des Ukraine-Krieges vom russischen Militär besetzt wurde. Iryna Gromozda, Regisseurin der achtteiligen ukrainischen Serie, betont die Tristesse dieser Umgebung, stilisiert sie geradezu. Die Geschichte spielt im Winter, die Protagonisten durchqueren neblige, graue Landschaften. Wohnviertel erscheinen wie Geisterstädte. In die Haupthandlung eingebettet sind kurze, scheinbar zusammenhanglose Episoden. Kinder durchstöbern einen verfallenen Wohnblock, erklettern eine Außentreppe ohne Geländer. Einer der Jungen stürzt zu Tode.

Ein Landstrich, in dem Verbrechen kaum als Normverstoß wahrgenommen werden, in dem der Weg in die Drogen- oder Alkoholsucht vorgezeichnet scheint. »Ukrainian Noir«, wenn man so will. Aber nicht im Sinne einer Genrevariante, deren Verfasser von Verbrechen an Kindern erzählen, um billigstmöglich Schauder und Schrecken zu erzielen. Der Drehbuchautor Simor Glasenko geht in die Tiefe. Gewaltdarstellungen gibt es kaum, die Intensität dieser Serie verdankt sich insbesondere der Kameraarbeit und Lichtführung von Serhiy Krutko. Krutko, dokumentarfilmerfahren und auch fotografisch tätig, arbeitet virtuos mit der Bildschärfe, Detailaufnahmen, präzisen Kamerabewegungen. Keineswegs L'art pour l'art, sondern immer im Dienst der Erzählung.

»Hide and Seek« wurde kurzfristig ins Programm von ZDFneo und in die ZDF-Mediathek aufgenommen, aus Solidarität mit den ukrainischen Filmschaffenden. Laut Pressemitteilung gehen die Provisionen für den Verkauf der Serie an ukrainische Hilfsorganisationen. Die Sendung steht ab dem 11. Juni zum Abruf bereit.

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