Kritik zu The Outfit: Verbrechen nach Maß
Der Theaterstar Sir Mark Rylance spielt bravourös einen von London nach Chicago verpflanzten Maßschneider, der für die Mafia Anzüge näht. Dass der Mob seinen Laden auch für die interne Kommunikation nutzt, führt im Regiedebüt des Autors Graham Moore (»The Imitation Game«) zu einer spannenden Intrige
Mit bedächtigen Bewegungen näht Leonard ein Knopfloch um. Behutsam lässt er seine Schere durch edlen Wollstoff gleiten. Diesem schmalen Mann bei seiner konzentrierten Demonstration einiger von 228 Arbeitsschritten hin zu einem Maßanzug zuzuschauen, bereitet ein schwer definierbares Vergnügen. Er hat die beruhigende Aura eines Handwerkers, der genau weiß, was er tut – und erzeugt doch, Stich für Stich, die beunruhigende Ahnung, oder vielmehr Vorfreude darauf, zu erleben, wozu er noch imstande sein wird.
Eine bessere Wahl für die Rolle des schattenhaften Maßschneiders als Sir Mark Rylance, der als Spion Rudolf Abel im Historiendrama »Bridge of Spies« (2015) schaudern machte, ist schwer vorstellbar. Die Kamera liebt diesen abgefeimten Schwindler. Der gefeierte Shakespeare-Mime steht zugleich für die gewollte Künstlichkeit dieses Krimis. Die im Jahr 1956 in Chicago angesiedelte Handlung findet nahezu in Echtzeit statt, als Bühne dient das düstere Schneideratelier von Leonard Burling.
Dieser sagt von sich, dass er wegen des Booms der Blue Jeans sein Atelier in der Londoner Savile Row aufgegeben habe und für einen Neuanfang nach Amerika umgezogen sei. Nicht, dass sich seine Kunden, darunter der irische Mafiapate Roy Boyle und seine Männer, für Leonards Leben interessieren würden. Der Mob nutzt das Hinterzimmer des Laden auch als Briefkasten, um untereinander zu kommunizieren. Der Maßschneider versteckt sich vor den ruppigen Besuchern hinter seiner Arbeit und lässt sich still von Boyles präpotentem Sohn Richie anpöbeln. Der einzige Mensch, dem Leonard sichtbar Gefühle – väterliche – entgegenbringt, ist seine aufgeweckte Empfangsdame Mable, die sich ihrerseits um ihn sorgt. Und als Francis, Boyles Handlanger, den angeschossenen Richie in seinem Geschäft versteckt, kann sich der Schneider nicht länger heraushalten. So fest vernäht ein Anzug ist, so ist er doch keine Rüstung. Blut wird fließen.
Die konkurrierende Lafontaine-Bande, das ominöse Gangsternetzwerk »The Outfit«, Gerüchte über eine »Ratte«, also einen Verräter im Dienste des FBI: Graham Moore, der für das Drehbuch zu »The Imitation Game« 2014 einen Oscar bekam, knüpft in seinem Regiedebüt, für das er ebenfalls am Drehbuch mitschrieb, viele Fäden. Als Hitchcock'scher MacGuffin dienen Tonbandaufnahmen, die jede Partei fieberhaft in die Hände zu bekommen versucht. So entspinnt sich in Leonards Laden ein Katz-und-Maus-Spiel, in dem der Schneider sehr schnell denken muss und die Luft immer dicker wird.
Moore bewies seine Vorliebe für doppelbödige Kriminalgeschichten bereits als Schriftsteller mit seinem Bestsellerroman »Der Mann, der Sherlock Holmes tötete«. Sein Kammerspiel »The Outfit« hat nicht nur wegen der betonten »Britishness« des Protagonisten und der knappen, an Harold Pinter gemahnenden Dialoge ein anglophiles Webmuster. Es erinnert an den Londoner Theaterdauerbrenner »Die Mausefalle«, obwohl im Film, anders als in Agatha Christies Stück, Leute ein und aus gehen. Die Ähnlichkeit besteht vielmehr in der listenreichen Strategie von Menschen, die, allein unter Raubtieren und vom Staat in Stich gelassen, Selbstjustiz üben.
Kurz: Dieses Verwirrspiel, mit Nahaufnahmen von Gesichtslandschaften und verräterisch tropfendem Blut vor dämmrigem Hintergrund im Stil eines Ölgemäldes inszeniert, ist außergewöhnlich spannend. Das gilt selbst angesichts manch unglaubwürdiger Winkelzüge und, gegen Ende, einer unnötigen Dramatisierung des Ausgangs dieser Scharade. Oder, in der filmischen Metaphorik ausgedrückt: Die elaborierte Geschichte ähnelt letztlich einem allzu breitschultrig gepolsterten Mantel für einen schmächtigen Mann. Der Anzug sitzt also nicht perfekt, doch er verrät Klasse. Die hohe Kunst der in feinstes Tuch gekleideten Darsteller – neben Mark Rylance hat etwa Theaterkollege Sir Simon Russell Beale als Pate einen starken Auftritt – zeigt sich hier gerade in ihrer virtuosen Erzeugung niedrigster, atavistischer Gefühle beim Publikum: jener vom derzeitigen Kino fast vergessenen Ha!-Momente, in denen David Goliath austrickst.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns